Author Archive

Ich als Schiff

Friday, January 19th, 2007

codex_manesse_friedrich_von_hausenschiff.jpg

Codex Manesse, fol. 116v, Herr Friedrich von Hausen Nach: http://wikimediafoundation.org/

Monadologie I

Friday, January 19th, 2007

Zuviele Fenster in die Welt stehen uns derzeit offen: Tageszeitungen, Online-Dienste, Fernsehen. Sie liefern Bilder aus der Welt in unsere eigene Welt. Zuweilen sind die Bilder konkret, zum Beispiel das Bild der Maya-Familie Guzman in La Brigada, Guatemala-Stadt. Die Familei hat jahrzehntelang für ein eigenes Haus geschuftet. Schlafzimmer und Wohnzimmer sind überdimensional gross geworden. Der Reporter bemerkt das. Er bemerkt auch, dass drei Wochen nach seinem Besuch, die Familie Guzman nicht mehr in ihrem jüngst bezogenen Haus wohnt.

Schutzgelderpresser einer Bande haben sie verjagt (NZZ 293): “Keine drei Wochen nach unserem Besuch musste die Familie ihr grosszügiges neues Eigenheim Hals über Kopf verlassen, weil Mitglieder einer Mara [Bande] die Entrichtung eines astronomisch hohen Schutgeldes innerhalb von 24 Stunden verlangten und andernfalls mit der Ermordung von Familienmitgliedern drohten”. Die Zeilen lassen ein kompatkes Bild der Familie entstehen. Das Bild ensteht lesend. Da, was ich in Worten nachvollziehen kann, lässt bei mir ein kompaktes Objekt oder Bild entstehen.

Demgegenüber verlieren die fotographischen, televisuellen Bilder schnell an Kompaktheit. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Es sei denn, dass ich mich ihnen in eigenen Worten nähere. Insofern gelangen wenige Bilder in meine eigenen vier Wände. Insofern haben die vier Wände meines Bewusstseins wenige Fenster.

Die Atome der Seele nennt Leibniz Monaden. Eine Monade ist ein fensterloser Spiegel des Universums. Die Theorie der Monade versucht die Spontanität des Ichs mit den Gesetzen zu vereinbaren, die das Universum bestimmen. Spontanität lässt sich als Freiheit denken, als Vermögen, das zu tun, wozu man geneigt ist. Der Clou des Begriffs der Neigung ist, dass man sich zu dem neigt, was der eigenen Natur entspricht. Die eigene Natur wiederum ist bedingt durch die Gesetzen des Universums, das wohlgeordnet ist (mundus est kosmos, plenus ornatus seu ita factus, ut maxime satisfaciat intelligenti).*

* “.Leibniz nach Cassirer: Freiheit und Form – Studien zur Deutschen Geistesgeschichte [1916]. Bd 7 der Gesammelten Werke. Darmstadt 2001: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 34

Alles in Rechnung bringen

Thursday, January 18th, 2007

In einer barocken, tänzelnden Sprache, die ein spielerisches Verhältnis zum Leben suggeriert, spricht Leibniz vom Verhängis. Tänzeln im Unterschied zu Tanzen ist eine Bewegung um ein Zentrum, das man nicht selbst gewählt hat, während Tanzen eine selbstbestimmte Bewegung ist. Ob etwas tanzt oder tänzelt, wird eine Frage der Perspektive sein. In Leibniz Perspektive tänzelt der menschliche Wille wie eine Magnetnadel, deren Verhalten vorherbestimmt ist. Wenn wir denken lernen, dass wir tänzeln, anstatt zu tanzen, lernen wir einsehen, wie wir bestimmt sind. Diese Einsicht hilft uns, Spielräume zu erkennen. Ein Spielraum eröffnet sich uns zum Beispiel dann, wenn wir uns fragen, wie wir über Migranten nachdenken. Denken wir über Einzelschiksale nach oder sehen wir einen Migranten verkettet mit allgemeinen Entwicklungen? An unserer Wahrnehmungsform hängt es, wie wir ihn verkettet sehen: „Logik und Metaphysik schaffen in ihrem wechselseitigen Ineinandergreifen den Grundriss der Metaphysik.`Dass alles durch ein festgestelltes Verhängniss herfürgebracht werde, ist eben so gewiss, als dass drey mal drey neun ist. Denn das Verhängniss besteht darin, dass alles an einander hänget wie eine Kette, und eben so unfehlbar geschehen wird, ehe es geschehen, als unfehlbar es geschehen ist, wenn es geschehen. Die alten Poeten, als Homerus und andere, haben es die güldene Kette genennet, so Jupiter vom Himmel herab hängen lasse, so sich nicht zerreissen lässet, man hänge daran, was man wolle. Und diese Kette besteht in den Verfolg der Ursachen und der Wirkungen. Nemlichen jede Ursach hat ihre gewisse Würkung, die von ihr zuwege bracht würde, wenn sie allein wäre; weilen sie aber nicht allein, so entstehet aus der Zusammenwirkung ein gewisser ohnfelhbarer Effect oder Auswurf nach dem Mass der Kräfte, und das ist wahr, wenn nicht nur zwey oder 10, oder 1000, sondern gar ohnendlich viel Dinge zusammen würken, wie dann wahrhaftig in der Welt geschicht. … Hieraus sieht man nun, das alles mathematisch, das ist ohnfehlbar zugehe in der ganzen weiten Welt, so gar, dass wenn einer eine gnugsame Insicht in die innern Theile der Dinge haben könnte, und dabei Gedächtnis und Verstand gnug hätte, umb alle Umbstände vorzunehmen und in Rechnung zu bringen, würde er ein Prophet seyn, und in dem Gegenwärtigen das Zukünftige sehen als in einem Spiegel“.Leibniz nach Cassirer: Freiheit und Form – Studien zur Deutschen Geistesgeschichte [1916]. Bd 7 der Gesammelten Werke. Hamburg 2001: Meiner, S. 29

IIII

Tuesday, January 16th, 2007

“Sepp, Pott, Brinton und vielen anderen fiel es schon auf, dass bei ganz bestimmten Völkern die 4 eine besondere Rolle spielt. Fassen wir den Sinn und der Verbreitung solcher 4 in einem Kartogramm zusammen. In Ostasien beginnend, springt es in die Augen, dass China ursprünglich `das Reich der vier Meer`, der Kaiser als `der Beherrscher der vier Meere` bezeichnet wurde. Ozean heisst sse-hai, d.h. vier Meere. Solche Benennung ist auch in Japan eingedrungen. Interessant ist es, dass in China die 4 direkt gleich `alle` gesetzt wrd. Sse = fang 4 Gegenden heisst auch soviel wie `alle Gegenden`.

Auch im Sanskrit haben wir mit dem Worte samudra die Sammlung der Gewässer am Himmel und auf der Erde, die als `die 4 Meere` das Land umgeben. Das Land ist vierufrig oder aber caturanta, d.h. vierendig. Bis Tibet ist solche Anschauung verbreitet. In dem Heldengesang von Bogda Gesser Chan sind die Maharadscha-Götter die Hüter der vier Weltgegenden und ist von den 4 Drachenfürsten, den Herren der 4 Meere, die Rede. Die persische Sprache ist reich an solchen Weltbildern. Die Bezeichnung von `Welt` scheint stets mit car = 4 verbunden, sie ist viertorig, vierseitig. Der Himmel ist ein vierseitiges Zelt. Die persische Mythe kennt die 4 Paradiesflüsse; das Paradies gleich `vier Gärten`. Auch ist die Welt viermaurig, d.h. ein von vier Maurern umgebenes Gebäude.

Ähnlich wie in China hiess der König Altbyloniens: der König der 4 Weltgegenden, genau ebenso der Herrscher des Inkareichs. 4 Volksgruppen wohnen in altägyptischer Meinung nach den 4 Himmelsrichtungen. 4 Baobabs stehen in der Mythe Y [?]ukatans an den 4 Ecken der Welt usw.”. Frobenius, Leo: Vom Kulturreich des Festlandes. Berlin 1923; Wegweiser-Verlag, S. 81f.

“Gott gab den Europäern die Uhr und den Afrikanern die Zeit”

Monday, January 15th, 2007

Ein afrikanisches Sprichwort nach Buch, Christoph: Blax Box Afrika – Ein Kontinent driftet ab. Springe 2006: Klampen 2006, S. 14.

Wahrnehmungslehre : Unter Palmen

Sunday, January 14th, 2007

Niemand bewegt sich ungestraft unter Palmen denkt eine Figur in Goethes Wahlverwandschaften *. Niemand bedient sich unbestraft der Reichtümer dieser Welt, so lässt sich das auf den Kontext der Klimaerwärmung übertragen. Nun wird der Zahltag beginnen. Wir werden Energiekonten anlegen müssen, die uns verdeutlichen, dass wir nur beschränkt Ressourcen verbrauchen dürfen. Die Klimapolitik wird zum einem Regierungsmittel, mit denen unsere Sinne, Bedürfnisse gelenkt werden. Teil dieses Regierungsmittels ist die Zahl, die Mathematik.

Mit ihrem Leben bezahlen Migranten schon jetzt die Folgen des Klimawandels. Sie verlassen Dürregebiete, um sich in Europa eine Zukunft zu sichern und ihre Familien in Afrika zu ernähren. Gegenüber dem Zahlmittel des eigenen Lebens ist das Rechnen mit den Energiekonto ein kleineres Übel. Es wird deshalb leicht zu schlucken sein. Aber das ist nur ein Aspekt.

Auf dem Spiel steht unser Spektrum menschlicher Möglichkeiten. Es geht jetzt nicht darum, Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen, um grössere Unanehmlichkeiten zu vermeiden. Das ist geringfügig. Es geht darum, wie sich der Mensch künftig denkt. Die Zahl, Quantifizierung, statistische Mittel werden sich weiter ausbreiten, ohne dass wir sie verstehen. Sie werden zu Befehlen, nach denen wir uns richten müssen. Die Fähigkeit zur Empathie wird schrumpfen und damit diese wichtige, die menschliche Würde bestimmende Qualität. Indem wir Widersprüche durchdenken und unser Unvermögen, sie auszuhalten, artikulieren, geben wir der Empathie eine Chance. Wir fühlen wenigstens, dass wir nicht gerecht handeln. Das ist ein Ansatz, um gerechter handeln zu lernen.

* Erinnert nach einem Blick in: Hans Christoph Buch: Black Box Afrika – Ein Kontinent driftet ab
Dietrich zu Klampen Verlag,160 Seiten, EUR 16,00.

“One

Thursday, January 11th, 2007

cannot escape the feeling that these mathematical formulae have an independent existence and an intelligence of their own, that they are wiser than we are, wiser even than their discoveries, that we can ge more out of them than was originally put into them”. Heinrich Hertz quoted by Dantzig, Tobias: Number. New York 1967: The Free Press

Takt

Thursday, January 11th, 2007

“Einem jeden Menschen ist die Fähigkeit des Taktschlagens, wenn auch in primitiver Form, eigen, und diese Fähigkeit bildet die Grundlage für das Zählen… Die Zahl ist kein angeborenes Naturerzeugnis, sondern ein von den Menschen ersonnenes Kunstprodukt und besteht in einem objektiven Merkmal, mit dem man die einzelnen Takte bezeichnet, wie der Buchstabe als sichtbares Zeichen eines bestimmten Lautes dient.

Ursprünglich wird die Zahl wohl dadurch entstanden sein, dass man mit der taktschlagenden Hand Striche nebeneinander in den Sand ritzte. So entsteht auch heute noch die Zahl für jeden Schüler, wenn er in der ersten Rechenstunden Striche auf die Tafel schreibt. Hierdurch erst gelingt es, ein Bindeglied zwischen Zeitgrössen und Raumgrössen zu schaffen, und dieses Bindeglied nennen wir Zahl”. Uexküll, Jakob von: Theoretische Biologie. [1920/28]Frankfurt/M. 1923. Suhrkamp, S. 73f.

Stammbegriff Afrika

Wednesday, January 10th, 2007

Im logischen Aufbau der Welt sollen Begriffe aus Stammbegriffen abgeleitet werden, so überlegt es Rudolf Carnap 1928. Die mittelalterliche Logik hat ihre Begriffe aus dem Stammbegriff des Seienden abgeleitet. Das war gleichbedeutend mit Gott. Ein heutiger Stammbegriff sollte Diskrepanzen artikulieren und ihre Wahrnehmung produzieren. Setzen wir nun statt Gott Afrika?

Wahrnehmungslehre

Wednesday, January 10th, 2007

Vor drei Jahren hat Mahouda sein Dorf in der Sahelzone verlassen und befindet sich nun in Ceuta, um über die spanische Exklave in Afrika nach Europa zu gelangen.* Mit Jets lässt sich diese Distanz in Minuten überfliegen. Die Diskrepanz zwischen der aus politischen und sozialen Gründen langen Wegzeit und technisch-möglich kurzen ist eine Herauforderung an unser Denken und Fühlen. Es scheint, dass wir für ein verantwortungsvolles Handeln andere Meridiane der Orientierung entwickeln müssen. Der Biologe von Uexküll** entwickelt Grundbegriffe der Orientierung von Lebewesen in Raum und Zeit. Er weist auf darauf hin, dass Menschen über ein fühlbares Koordinatensystem zur Orientierung im Raum verfügen. So ein Koordinatensystem zur Wahnehmung unterschiedlicher zeitlicher Achsen (die Geschwindigkeit eines Migranten könnte auf einer Achse liegen, die Geschwindigkeit eines Jets auf einer anderen, die Geschwindigkeit der Datenübertragung im Netz auf einer dritten) lässt sich mit Hilfe der Kunst entwickeln. Sprache, Musik und Kino als Formen der Zeitgestaltung können die Wahrnehmung unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln.
* Nach Corinna Milborn. In: greenpeace 4/06.

**Uexküll, Jakob von: Theoretische Biologie. [1920/28]Frankfurt/M. 1923. Suhrkamp, S. 32.