Wahrnehmungslehre

Vor drei Jahren hat Mahouda sein Dorf in der Sahelzone verlassen und befindet sich nun in Ceuta, um über die spanische Exklave in Afrika nach Europa zu gelangen.* Mit Jets lässt sich diese Distanz in Minuten überfliegen. Die Diskrepanz zwischen der aus politischen und sozialen Gründen langen Wegzeit und technisch-möglich kurzen ist eine Herauforderung an unser Denken und Fühlen. Es scheint, dass wir für ein verantwortungsvolles Handeln andere Meridiane der Orientierung entwickeln müssen. Der Biologe von Uexküll** entwickelt Grundbegriffe der Orientierung von Lebewesen in Raum und Zeit. Er weist auf darauf hin, dass Menschen über ein fühlbares Koordinatensystem zur Orientierung im Raum verfügen. So ein Koordinatensystem zur Wahnehmung unterschiedlicher zeitlicher Achsen (die Geschwindigkeit eines Migranten könnte auf einer Achse liegen, die Geschwindigkeit eines Jets auf einer anderen, die Geschwindigkeit der Datenübertragung im Netz auf einer dritten) lässt sich mit Hilfe der Kunst entwickeln. Sprache, Musik und Kino als Formen der Zeitgestaltung können die Wahrnehmung unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln.
* Nach Corinna Milborn. In: greenpeace 4/06.

**Uexküll, Jakob von: Theoretische Biologie. [1920/28]Frankfurt/M. 1923. Suhrkamp, S. 32.

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