Marcus Steinweg: Notiz zur Kraft

November 12th, 2010

Wie jeder Schriftsteller, stellt sich Müller die Frage, was Schreiben sei. Er beantwortet sie, indem er Schreiben als blinde Kraft definiert: „ein Bereich von Freiheit und Blindheit gleichzeitig, völlig unberührt von allem Politischen“.(6) Zum Schreiben gehört Resistenz gegenüber den Tatsachen. Kraft ist ein Name dieser Resistenz und Fliehkraft. Ihre Blindheit ist Indifferenz im Verhältnis zum Bestehenden. Sie artikuliert eine Abstandnahme, eine Flucht:

„Natürlich ist Schreiben immer auch eine Flucht aus der Wirklichkeit, wenn man so will. Aber das ist schon eine falsche Bewertung: Es ist einfach eine andere Welt, und es wäre schön, wenn man dableiben könnte. Aber man wird immer gestört; und dann muß man die Störung mit einarbeiten.“ (7)

(6) Heiner Müller, Krieg ohne Schlacht, Köln 1999 (4. Aufl.), S. 64.
(7) Heiner Müller, Gespräche 2, Werke 11, S. 518.

Vollständiger Text erscheint unter: Notiz zur Kraft

Barbara Ellmerer

November 11th, 2010

Marcus Steinweg: A note on power

November 10th, 2010

As is often the case, Müller is interested in the criticism of an understanding of enlightenment, an understanding that arises when potential experience is restricted. Yet experience extends beyond all knowledge and understanding. To experience something means to touch on the inconsistency of the established knowledge apparatus. An experience is similar to the irruption of something new. In this sense it is an event. By perceiving the event (the unexpected and impossible) the experience itself becomes eventful, and in accommodating the new and the unknown, it adopts their traits. As a blind power it opens itself up to what is as yet unnamed, to what can be called chaotic or incommensurable. This is not about the otherworld, but about a heterogeneity that belongs to the universe of homogeneous commensurabilities as something that is implicitly on the outside. So we have two opposite registers: a register of understanding and a register of experience. Opposition which, if nothing else, is of strategic value. As with all demarcations, it helps differentiate at the expense of a certain reduction and simplification. The Subject starts to experience something when it no longer understands. An experience touches on the inconsistence of one’s knowledge and on the dispositive that organises it. If knowledge and understanding are operations of the logos, reasoned actions that lead to a meaning, then an experience means to witness the inconsistency of the logos or the logical. The logos, which Heidegger – based on the Greek verb legein – interpreted as ‘gathering’ that limits the disseminal excess of diversity.

Complete text will be published at: Note on power

Marcus Steinweg: Notiz zur Kraft

November 10th, 2010

Wie so oft, geht es Müller um die Kritik an einem Verständnis von Aufklärung, das in der Einschränkung möglicher Erfahrung resultiert. Erfahrung aber reicht über jegliches Wissen und Verstehen hinaus. Eine Erfahrung machen heißt, an die Inkonsistenz der etablierten Wissensdispositive zu rühren. Die Erfahrung kommt dem Einbruch von etwas Neuem gleich. Sie ist Ereignis in diesem Sinn. Indem sie das Ereignis (das Unerwartbare und Unmögliche) empfängt, ist sie selbst ereignishaft. Indem sie dem Neuen und Unbekannten Platz macht, nimmt sie dessen Züge an. Als blinde Kraft öffnet sie sich dem noch Begrifflosen, das man das Chaos nennen kann oder das Inkommensurable. Es handelt sich um kein Jenseits der Welt, sondern um eine Heterogenität, die dem Universum der homogenen Kommensurabilitäten als ihr implizites Außerhalb angehört. Zwei opponierende Register also: das Register des Verstehens und das Register der Erfahrung. Opposition, die zumindest strategischen Wert hat. Wie jede Abgrenzung hilft sie, einen Unterschied um den Preis einer gewissen Reduktion und Vereinfachung zu markieren. Eine Erfahrung findet statt, wenn das Subjekt nicht mehr versteht. In der Erfahrung rührt es an die Inkonsistenz seines Wissens und der Dispositive, die es organisieren. Wenn Wissen und Verstehen Logos-Operationen sind, Handlungen einer Vernunft, die Sinn herstellt, dann bedeutet eine Erfahrung zu machen, der Inkonsistenz des Logos oder des Logischen beizuwohnen. Jenes Logos, den Heidegger – der Bedeutung des griechischen Verbs legein folgend – als Versammlung interpretiert hat, die den disseminalen Exzess des Mannigfaltigen begrenzt.

Vollständiger Text erscheint unter: Notiz zur Kraft

Marcus Steinweg: A note on power

November 9th, 2010

Heiner Müller never stopped insisting that blindness is integral to experience. Art was a “blind practice” ,* “the blindness of experience” the “stamp of its authenticity” .** Everything that aims to bring about change is articulated as a blind power, and this refers to each and every dynamic force (dynamis is the Greek word for power) that destabilises the established dispositive – be it social, cultural or aesthetic – with the ultimate goal of redefining it. As a “tool to render reality impossible” ,*** art is this blind power/dynamic that resists existing programmes and perspectives. It is naturally characterised by a certain rawness, a lack of predictability and discipline:

“An experience that has been made cannot be given a name immediately – or else it would be no experience at all!” ****

* Heiner Müller, Schriften, Werke 8, Frankfurt a. M. 2005,  S. 244.
** Ebd., S. 218.
*** Ebd.
**** Ebd., S. 257.

Marcus Steinweg: Notiz zur Kraft

November 9th, 2010

Heiner Müller hat nicht aufgehört darauf zu insistieren, dass zur Erfahrung Blindheit gehört. Kunst sei „eine blinde Praxis“,*  „Blindheit der Erfahrung“ der „Ausweis ihrer Authentizität“ .** Als blinde Kraft artikuliert sich alles, was auf Veränderung zielt, jede Dynamik (dynamis ist das griechische Wort für Kraft), die die etablierten Dispositive – seien sie sozialer, kultureller, ästhetischer Natur – destabilisiert, um sie schließlich zu redefinieren. Als „Mittel, die Wirklichkeit unmöglich zu machen“, *** ist Kunst eine solche blinde Kraft/Dynamik, die sich den bestehenden Programmen und Perspektiven entzieht. Zweifellos eignet ihr eine gewisse Rohheit, ein Mangel an Berechenbarkeit und Disziplin:

„Wenn man eine Erfahrung macht, kann man die nicht sofort auf den Begriff bringen – sonst wäre es gar keine!“****

* Heiner Müller, Schriften, Werke 8, Frankfurt a. M. 2005,  S. 244.
** Ebd., S. 218.
*** Ebd.
**** Ebd., S. 257.

Marcus Steinweg: A note on power

November 9th, 2010

“As long as a power is blind, it is a power. As soon as it has a programme, a perspective, it can be integrated and starts to belong.”

Heiner Müller, Schriften, Werke 8, Frankfurt a. M. 2005, p. 245.

Marcus Steinweg: Notiz zur Kraft

November 8th, 2010

„Solange eine Kraft blind ist, ist sie eine Kraft. Sobald sie ein Programm, eine Perspektive hat, kann sie integriert werden und gehört dazu.“

Heiner Müller, Schriften, Werke 8, Frankfurt a. M. 2005, S. 245.

Headfarm: China Ware

November 2nd, 2010

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Für Loredana

November 1st, 2010

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