Archive for the 'Art' Category

Einheit und Teilung

Monday, January 29th, 2007

Die Sängerin Liliana Herrera ist die Lebensgefährtin des jetzigen Direktors der Nationalbibliothek in Buenos Aires. Sie sagt: Die Stimme denkt. Im Sonntagsinterview gibt der Bankier Marcel Ospel Auskunft darüber, dass er neuerdings Jagdsport betreibt. Ostern wird er mit seiner Lebensgefährtin vermutlich in Texas Truthähne jagen … Zwei Mitteilungen aus zwei Zeitungen bewegen sich seit dem Wochenende in meinem Kopf. Ich habe sie mir gemerkt in der Hoffnung, etwas von den Informationen aus den Zeitungen zurückzubehalten und so Kontakt zur Aussenwelt der Zeitungen zu halten. Ich nehme die Informationen auf mit dem Gedanken, dass sie zumindest in meinem Tagebuch Platz finden, ja vielleicht sogar für den Journal brauchbar sein können. Nun verwende ich diese Informationen, weil ich über das Verhältnis von Einheit und Teilung nachdenken möchte. Ich frage mich, ob ich im Stillen bereits eine Verbindung zwischen Ospels Osterferien, der denkenden Stimme und den Fragen des Journals hergestellt habe. Was ermöglicht diese Verbindung? Die Tatsache, dass beide Informationen aus Zeitungen stammen?

Stiften Zeitungen Zusammenhänge? Ich vermute erst einmal, dass unbedachte Verknüpfungen ein Problem darstellen, weil sie das Denken auf eine falsche Fährte führen. In der Vergangenheit war nicht die Verbindung das Problem, sondern das Verhältnis von Einheit und Teilung. Es wird in der Philosophie- und Mathematikgeschichte unter dem Begriff des Kontinuums diskutiert.
Die historische Diskussion hatte einen Ertrag: Die Unterscheidung zwischen dem Kontinuum der alltäglichen Erfahrung und dem mathematischen Kontinuum, das auf Gedankenarbeit beruht. Ich denke, dass eine produktive Unterscheidung von Synthesen, als der Zusammensetzung von Getrenntem hilfreich ist. Dazu müssen Synthesen erst einmal entwickelt werden.

Eine Synthese könnte sein, Marcel Ospel um die Finanzierung einer Reise nach Argentinien zu bitten oder um die Finanzierung des Journals. Eine andere Synthese könnte sich mit der Frage bilden, wie sich die Reichtümer der Schweizer Banken zum Klimawandel verhalten, zur Entwicklung von Regionen wie Buenos Aires oder zu brachliegenden Gebieten in Afrika. Lässt sich eine solche Synthese künstlerisch gestalten? Eine Gefahr liegt darin, platte kausale Beziehungen aufzubauen oder eine platte Erzählung zu stiften.

Die Quantentheorie bietet Hinweise, wie Zusammenhänge gedacht werden können. In der Superposition liegen nicht beliebige Teile, sondern nur bestimmte Teile. Kann und soll der Mensch diese Bestimmungen ändern? Ich möchte sagen: Ja, denn ich glaube, dass Mut zu Verknüpfungen nötig ist. Die Einbildungskraft wird so gestärkt. Sie kann flexibel gestärkt werden, indem sie Gesang, Truthahnjagd, Klimawandel und Journale miteinander ins Spiel bringt. Sinnvoll wird es dabei sein, das Ich, das diese Überlegungen anstellt, anders zu fassen. Es sollte nicht so bemüht sein, sondern locker, sich als Streuung von Worten und Klängen, die sich dann und wann zu Begriffen und Bildern verdichten, konzipieren.

Überlagerung

Friday, January 26th, 2007

Die Quantentheorie enthält Bauanleitungen.* Das besondere an dieser Bauanleitungen ist, dass sie Wahrscheinlichkeiten systematisch einbeziehen. Ein Teilchen kann drei Positionen im Raum einnehmen. Oben, unten und dazwischen. Meistens bewegt sich das Teilchen zwischen oben und unten (Überlagerung -Superposition). Erst wenn gemessen wird, nimmt es eine Position oben oder unten ein.quanten.gif **

Dass ein Computer nach quantenmechanischen Gesetzen baubar ist, bedeutet, dass die Quantenmechanik Anleitungen zum Rechnen bietet. Sie ist eine Erweiterung der Rechengesetze und damit als ein Aspekt der mechanisten Erkenntnistheorie fassbar. Die mechanistische Erkenntnistheorie geht davon aus, dass Verstehen Rechnen bedeutet.

Das etwas berechenbar ist, bedeutet nicht, dass es selbst nach Berechnungen gebaut worden sein muss. Wenn Aspekte der Natur berechenbar sind, heisst das noch nicht, dass die Natur nach Rechengesetzen funktioniert. Leibniz war etwas zu optimistisch: „`Die Zeit wird kommen und bald kommen`, so schreibt Leibniz an Oldenburg, `in der wir über Gott und den menschlichen Geist nicht minder sichere Sätze als über Figuren und Zahlen haben werden`.`Denn in Sachen der Religion auf die Vernunft verzichten zu wollen`, so heisst es an einer anderen Stelle, `dies gilt mir als ein fast sicheres Kennzeichen eines an Schwärmerei grenzenden Eigensinnes oder, was schlimmer ist, einer Heuchelei. Man glaubt weder in der Religion noch anderswo irgend etwas, es sei denn auf Vernunftgründe hin`“.***

Nun ist offensichtlich wohl eine Zeit gekommen, in der wir einsehen müssen, dass von Menschen gemachte Probleme nicht von Menschen gelöst werden. Hier wäre ein Determinismus hoffnungsvoll. Doch leider sind wir von ihm weit entfernt. Vielleicht sind wir weit davon entfernt, weil wir in die Berechnungen nicht Schwankungen und Superpositionen einbeziehen. Die könnten uns helfen, tätig zu werden, auch dort wo es aussichtslos scheint, weil zuviele Aspekte hineinspielen, die ein einzelner Mensch nicht verändern kann.

* Gedanken anlässlich der 7. Biennale zu Wissenschaft, Technik und Ästhetik in Luzern (Blogbericht).

* Entnommen:http://www.josef-graef.de/zukunft/qputer.html

*** Leibniz nach Cassirer, Freiheit und Form, S. 32.

Journale

Tuesday, January 23rd, 2007

Posts in einem Blog stossen einander an wie Billiardkugeln. Manchmal trifft eine Kugel auf eine andere mit einer solchen Heftigkeit, dass sie zerspringt, ihr Inneres zeigt.

Wie sieht die Zukunft eines solchen Billiardkugeluniversums aus?

Kugeln werden zerschmettert oder verschwinden den Regeln gemäss in den Löchern des Poolbilliardtisches. Eine Kugel bleibt übrig. Das Billiardspiel liesse sich auch anders fassen. Eine Kugel aktiviert die Kräfte einer anderen. Diese weicht nicht, sondern nimmt die Kraft des aufgeschlagenen Stosses auf und entfaltet ihr Spiel, das so energetisch ist, dass sie anderen Kugeln Kraft mitteilt (Französisch Billiard), Gedanken zu einem Fragment von Novalis:

“Journale sind eigentlich schon gemeinschaftliche Bücher. Das Schreiben in Gesellschaft ist ein interessantes Symptom – das noch eine grosse Ausbildung der Schrifstellerey ahnden lässt. Man wird vielleicht einmal in Masse schreiben, denken, und handeln – Ganze Gemeinden, selbst Nationen werden Ein Werck unternehmen.” Novalis: Fragment [465]. In:Schriften Bd. 2 – Das philosophische Werk I. (Hrsg. von Richard Samuel) Stuttgart 1981; Kohlhammer.

Wahrnehmungslehre : Unter Palmen

Sunday, January 14th, 2007

Niemand bewegt sich ungestraft unter Palmen denkt eine Figur in Goethes Wahlverwandschaften *. Niemand bedient sich unbestraft der Reichtümer dieser Welt, so lässt sich das auf den Kontext der Klimaerwärmung übertragen. Nun wird der Zahltag beginnen. Wir werden Energiekonten anlegen müssen, die uns verdeutlichen, dass wir nur beschränkt Ressourcen verbrauchen dürfen. Die Klimapolitik wird zum einem Regierungsmittel, mit denen unsere Sinne, Bedürfnisse gelenkt werden. Teil dieses Regierungsmittels ist die Zahl, die Mathematik.

Mit ihrem Leben bezahlen Migranten schon jetzt die Folgen des Klimawandels. Sie verlassen Dürregebiete, um sich in Europa eine Zukunft zu sichern und ihre Familien in Afrika zu ernähren. Gegenüber dem Zahlmittel des eigenen Lebens ist das Rechnen mit den Energiekonto ein kleineres Übel. Es wird deshalb leicht zu schlucken sein. Aber das ist nur ein Aspekt.

Auf dem Spiel steht unser Spektrum menschlicher Möglichkeiten. Es geht jetzt nicht darum, Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen, um grössere Unanehmlichkeiten zu vermeiden. Das ist geringfügig. Es geht darum, wie sich der Mensch künftig denkt. Die Zahl, Quantifizierung, statistische Mittel werden sich weiter ausbreiten, ohne dass wir sie verstehen. Sie werden zu Befehlen, nach denen wir uns richten müssen. Die Fähigkeit zur Empathie wird schrumpfen und damit diese wichtige, die menschliche Würde bestimmende Qualität. Indem wir Widersprüche durchdenken und unser Unvermögen, sie auszuhalten, artikulieren, geben wir der Empathie eine Chance. Wir fühlen wenigstens, dass wir nicht gerecht handeln. Das ist ein Ansatz, um gerechter handeln zu lernen.

* Erinnert nach einem Blick in: Hans Christoph Buch: Black Box Afrika – Ein Kontinent driftet ab
Dietrich zu Klampen Verlag,160 Seiten, EUR 16,00.

Stammbegriff Afrika

Wednesday, January 10th, 2007

Im logischen Aufbau der Welt sollen Begriffe aus Stammbegriffen abgeleitet werden, so überlegt es Rudolf Carnap 1928. Die mittelalterliche Logik hat ihre Begriffe aus dem Stammbegriff des Seienden abgeleitet. Das war gleichbedeutend mit Gott. Ein heutiger Stammbegriff sollte Diskrepanzen artikulieren und ihre Wahrnehmung produzieren. Setzen wir nun statt Gott Afrika?

Wahrnehmungslehre

Wednesday, January 10th, 2007

Vor drei Jahren hat Mahouda sein Dorf in der Sahelzone verlassen und befindet sich nun in Ceuta, um über die spanische Exklave in Afrika nach Europa zu gelangen.* Mit Jets lässt sich diese Distanz in Minuten überfliegen. Die Diskrepanz zwischen der aus politischen und sozialen Gründen langen Wegzeit und technisch-möglich kurzen ist eine Herauforderung an unser Denken und Fühlen. Es scheint, dass wir für ein verantwortungsvolles Handeln andere Meridiane der Orientierung entwickeln müssen. Der Biologe von Uexküll** entwickelt Grundbegriffe der Orientierung von Lebewesen in Raum und Zeit. Er weist auf darauf hin, dass Menschen über ein fühlbares Koordinatensystem zur Orientierung im Raum verfügen. So ein Koordinatensystem zur Wahnehmung unterschiedlicher zeitlicher Achsen (die Geschwindigkeit eines Migranten könnte auf einer Achse liegen, die Geschwindigkeit eines Jets auf einer anderen, die Geschwindigkeit der Datenübertragung im Netz auf einer dritten) lässt sich mit Hilfe der Kunst entwickeln. Sprache, Musik und Kino als Formen der Zeitgestaltung können die Wahrnehmung unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln.
* Nach Corinna Milborn. In: greenpeace 4/06.

**Uexküll, Jakob von: Theoretische Biologie. [1920/28]Frankfurt/M. 1923. Suhrkamp, S. 32.

Wahrnehmungslehre

Monday, January 8th, 2007

Helmholtz soll berichtet haben, er sei als kleiner Junge mit seiner Mutter an einem Turm vorbeigegangen, an dem Arbeiter beschäftigt waren, und habe seine Mutter gebeten, einen der kleinen Männerchen herabzulangen. Diese Anekdote veranschaulicht, dass Kinder Entfernungen erst abschätzen lernen müssen. Das Abschätzen ist eine Frage der Erziehung. Sind wir naive Kinder, die noch nicht gelernt haben, die entfernteren Folgen unseres Handelns abzuschätzen? Wie ist sonst zu erklären, dass wir sich das Klima wandelt. Wir wissen das zwar, haben aber noch nicht gelernt, darauf zu reagieren.

Wie kann eine Wahrnehmungslehre der globalen Veränderungen aussehen? Zu welcher Ethik wird sie führen? Carnap entwickelte einen logisch einsichtigen Aufbau der Welt. Enthält dieser Aufbau Optionen zum verantwortungsvollen Handeln? Es verlangt mindestens ein zwiespältiges Bewusstsein. Eines, dass die Handlungen im europäischen Alltag bewusst vollziert und zugleich dessen Verwicklung mit globalen Tendenzen bedenkt. Man muss also den Alltag und das Globale bedenken. Wie können wir  das Globale denken? Wir sind von Vermittlungen abhängig, die uns Ausschnitte verschiedener lokaler Wirklichkeiten vermitteln. Diese Vermittlung gehorcht Codes und Mustern. Sie lassen sich künstlerisch, philosophisch untersuchen und in Frage stellen. Ein weiter Weg zur Entdeckung globaler Wirklichkeiten und von dort zu relevanten Handlungen ist nötig. An ihm arbeiten viele ständig, auch wir.

Pythagoras – Transfer

Saturday, January 6th, 2007

Pythagoras war eine mythische Figur. Er soll ein goldenes Bein gehabt haben. Er dachte, dass die Welt geordnet ist, dass sie mathematischen Regeln gehorcht. Diesen Gedanken soll er am Monochord herausgefunden haben. Er halbierte, drittelte und viertelte die Saite dieses Instruments und fand heraus, dass die Saite gut klingt, wenn die Saite nach ganzzahligen Verhältnissen geteilt wird (1:2; 2:3; 3:4). Diese Saite denke ich als Welle. Sie zerteilt Migranten. Ihr beissendes Salz verbrennt Haut und Augen von Migranten, die auf der Passage von Afrika nach Europa in einem brüchigen Boot den Wellen ausgesetzt sind. Dieser Gedanke arbeitet in mir seit einem Gespräch mit YN im Wikpkinger Damm. Der Gedanke bereitet mir zugleich Kummer. Ich möchte nicht denken, dass Theorien von mathematischer Harmonie peinigen.

Schiffbruch mit Zuschauer

Friday, January 5th, 2007

Die Menschheit ist Teil der Woge, die das Boot trägt, das Schiffbruch zu leiden droht.* Das bereitet den Gedanken vor, dass die menschliche Kultur eine Woge ist, auf der sich die Menschen fortbewegen. Können wir in dem Journal diese Woge so modulieren, dass der Transfer von Afrika nach Europa menschwürdiger wird? (more…)

– I: Parfumflasche

Wednesday, January 3rd, 2007

Eine Migrantin berichtet von ihrer Überfahrt auf einem Boot, das auf dem Mittelmeer in Seenot geraten muss. Es muss in Seenot geraten, da nur die Flüchtlinge, die von einem in Seenot geratenem Boot gerettet werden, legal von der Küstenwache über die Grenze in die EU gebracht werden dürfen. Während der Fahrt reisst Fatima Abdirahman von ihrem besten und ihrem einzigen Rock nach zwei oder drei Tagen auf dem offenen Meer kleine Fetzen ab, in die sie ihren Kot einwickelt und über Bord wirft. Über Bord lässt sie an einem dünnen Faden auch eine leere Parfümflasche (Attar aus Olivenöl) baumeln, die sie bisher auf der Migration vor Dieben, Polizisten und den anderen Migranten verstecken konnte. Den Inhalt des Fläschchens hat sie zuvor ausgeschleckt. Geplant war es nicht, dass sie solange auf dem Meer ohne Wasser sein würden, ohne Nahrung. Sie hofft, dass ein Fisch das Fläschchen aussenbords erspürt und anbeisst. Tage später, nachdem schon einige Leichen der Migranten über Bord gekippt worden waren, wird sie unter dem Haufen der übrigen Leichen hervorgezogen. Das geschieht nach neun Tagen auf See und einem Tag nach der Sicherung des havarierten Schiffs durch die Küstenwachen von Lampedusa.  (Das Dilemma des Commandante von Dimitri Ladischensky (Text) und Francesco Zizola (Fotos)in der April/Mai-Ausgabe 2006 von mare). Sie selbst wird vielleicht noch zu finden sein in dem Asyl, das ein Franziskanermönch in Lampedusa eingerichtet hat. Vielleicht hat die Überlebende auch eine Stelle als Putzfrau in Palermo gefunden? Während es ihr vielleicht besser geht, erleiden Tausende die von ihr bereits durchlittenen Qualen auf dem Weg der Migration von Afrika nach Europa. Die Überfahrt kostet von Anfang Qualen. Die setzen schon beim Beschaffen der Kosten für den Transfer. Sie betragen 1000 Dollar.
Ist die Grenze zwischen Europa und Afrika, die qualvolle Überwindung der Not vergleichbar mit dem Übergang zwischen Seienden und Sein? Heidegger unterscheidet Sein und Seiendes, notlos und notvoll, eigentlichen und uneigentlichen Nihilismus.  Das Seiende ist die Welt der Technik, der Wissenschaft der Berechnung, des Unverborgenen. Das Sein ist etwas, das schwer zu fassen ist. Ist es so schwer zu fassen, wie das Verhältnis des europäischen Wohlstands zur Armut in Afrika? Was entspricht dann dem Wechselverhältnis zwischen Sein und Seiendem? Entspricht ihm zum Beispiel ein Boot mit Flüchtlingen?