Einheit und Teilung

Die Sängerin Liliana Herrera ist die Lebensgefährtin des jetzigen Direktors der Nationalbibliothek in Buenos Aires. Sie sagt: Die Stimme denkt. Im Sonntagsinterview gibt der Bankier Marcel Ospel Auskunft darüber, dass er neuerdings Jagdsport betreibt. Ostern wird er mit seiner Lebensgefährtin vermutlich in Texas Truthähne jagen … Zwei Mitteilungen aus zwei Zeitungen bewegen sich seit dem Wochenende in meinem Kopf. Ich habe sie mir gemerkt in der Hoffnung, etwas von den Informationen aus den Zeitungen zurückzubehalten und so Kontakt zur Aussenwelt der Zeitungen zu halten. Ich nehme die Informationen auf mit dem Gedanken, dass sie zumindest in meinem Tagebuch Platz finden, ja vielleicht sogar für den Journal brauchbar sein können. Nun verwende ich diese Informationen, weil ich über das Verhältnis von Einheit und Teilung nachdenken möchte. Ich frage mich, ob ich im Stillen bereits eine Verbindung zwischen Ospels Osterferien, der denkenden Stimme und den Fragen des Journals hergestellt habe. Was ermöglicht diese Verbindung? Die Tatsache, dass beide Informationen aus Zeitungen stammen?

Stiften Zeitungen Zusammenhänge? Ich vermute erst einmal, dass unbedachte Verknüpfungen ein Problem darstellen, weil sie das Denken auf eine falsche Fährte führen. In der Vergangenheit war nicht die Verbindung das Problem, sondern das Verhältnis von Einheit und Teilung. Es wird in der Philosophie- und Mathematikgeschichte unter dem Begriff des Kontinuums diskutiert.
Die historische Diskussion hatte einen Ertrag: Die Unterscheidung zwischen dem Kontinuum der alltäglichen Erfahrung und dem mathematischen Kontinuum, das auf Gedankenarbeit beruht. Ich denke, dass eine produktive Unterscheidung von Synthesen, als der Zusammensetzung von Getrenntem hilfreich ist. Dazu müssen Synthesen erst einmal entwickelt werden.

Eine Synthese könnte sein, Marcel Ospel um die Finanzierung einer Reise nach Argentinien zu bitten oder um die Finanzierung des Journals. Eine andere Synthese könnte sich mit der Frage bilden, wie sich die Reichtümer der Schweizer Banken zum Klimawandel verhalten, zur Entwicklung von Regionen wie Buenos Aires oder zu brachliegenden Gebieten in Afrika. Lässt sich eine solche Synthese künstlerisch gestalten? Eine Gefahr liegt darin, platte kausale Beziehungen aufzubauen oder eine platte Erzählung zu stiften.

Die Quantentheorie bietet Hinweise, wie Zusammenhänge gedacht werden können. In der Superposition liegen nicht beliebige Teile, sondern nur bestimmte Teile. Kann und soll der Mensch diese Bestimmungen ändern? Ich möchte sagen: Ja, denn ich glaube, dass Mut zu Verknüpfungen nötig ist. Die Einbildungskraft wird so gestärkt. Sie kann flexibel gestärkt werden, indem sie Gesang, Truthahnjagd, Klimawandel und Journale miteinander ins Spiel bringt. Sinnvoll wird es dabei sein, das Ich, das diese Überlegungen anstellt, anders zu fassen. Es sollte nicht so bemüht sein, sondern locker, sich als Streuung von Worten und Klängen, die sich dann und wann zu Begriffen und Bildern verdichten, konzipieren.

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