January 10th, 2007


Vor drei Jahren hat Mahouda sein Dorf in der Sahelzone verlassen und befindet sich nun in Ceuta, um über die spanische Exklave in Afrika nach Europa zu gelangen.* Mit Jets lässt sich diese Distanz in Minuten überfliegen. Die Diskrepanz zwischen der aus politischen und sozialen Gründen langen Wegzeit und technisch-möglich kurzen ist eine Herauforderung an unser Denken und Fühlen.  Es scheint, dass wir für ein verantwortungsvolles Handeln andere Meridiane der Orientierung entwickeln müssen. Der Biologe von Uexküll** entwickelt Grundbegriffe der Orientierung von Lebewesen in Raum und Zeit. Er weist auf darauf hin, dass Menschen über ein fühlbares Koordinatensystem zur Orientierung im Raum verfügen. So ein Koordinatensystem zur Wahnehmung unterschiedlicher zeitlicher Achsen (die Geschwindigkeit eines Migranten könnte auf einer Achse liegen, die Geschwindigkeit eines Jets auf einer anderen, die Geschwindigkeit der Datenübertragung im Netz auf einer dritten) lässt sich mit Hilfe der Kunst entwickeln. Sprache, Musik und Kino als Formen der Zeitgestaltung können die Wahrnehmung unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln.
* Nach Corinna Milborn. In: greenpeace 4/06.
**Uexküll, Jakob von: Theoretische Biologie. [1920/28]Frankfurt/M. 1923. Suhrkamp, S. 32.

Helmholtz soll berichtet haben, er sei als kleiner Junge mit seiner Mutter an einem Turm vorbeigegangen, an dem Arbeiter beschäftigt waren, und habe seine Mutter gebeten, einen der kleinen Männerchen herabzulangen. Diese Anekdote veranschaulicht, dass Kinder Entfernungen erst abschätzen lernen müssen. Das Abschätzen ist eine Frage der Erziehung. Sind wir naive Kinder, die noch nicht gelernt haben, die entfernteren Folgen unseres Handelns abzuschätzen? Wie ist sonst zu erklären, dass wir sich das Klima wandelt. Wir wissen das zwar, haben aber noch nicht gelernt, darauf zu reagieren.
Wie kann eine Wahrnehmungslehre der globalen Veränderungen aussehen? Zu welcher Ethik wird sie führen? Carnap entwickelte einen logisch einsichtigen Aufbau der Welt. Enthält dieser Aufbau Optionen zum verantwortungsvollen Handeln? Es verlangt mindestens ein zwiespältiges Bewusstsein. Eines, dass die Handlungen im europäischen Alltag bewusst vollziert und zugleich dessen Verwicklung mit globalen Tendenzen bedenkt. Man muss also den Alltag und das Globale bedenken. Wie können wir das Globale denken? Wir sind von Vermittlungen abhängig, die uns Ausschnitte verschiedener lokaler Wirklichkeiten vermitteln. Diese Vermittlung gehorcht Codes und Mustern. Sie lassen sich künstlerisch, philosophisch untersuchen und in Frage stellen. Ein weiter Weg zur Entdeckung globaler Wirklichkeiten und von dort zu relevanten Handlungen ist nötig. An ihm arbeiten viele ständig, auch wir.