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SchotenSchattenPilze IIb
Tuesday, March 6th, 2007SchattenSchotenPilze IIb
von Urs Faes
Eine Kontur plötzlich im Weiss, Striche, eine Linie.
Ist das eine Gestalt, die da herauswächst, aus dem Weiss des Papiers, hingebreitet, ausgebreitet, die Frau, das Weib, das hereinsinkt, kanaanitisch braun, wie es bei Benn heisst, in roten Strichen; und ein Duft kommt mit, kaum ein Duft, nur eine süsse Vorwölbung der Luft gegen das Gehirn. Haar vielleicht, Aug und Mund. Oder gar nur die Maske, vorgehalten vor das Gesicht oder vor eine weitere Maske, hinter der kein Gesicht ist, sondern nur eine Sehnsucht. Sehnsucht, sagt Vera im Buch, Sehnsucht, meinst du.
Sie hebt das Bein, den Schenkel, dunkel, wie im Bild, offen, offen vielleicht, das sehe ich in der Skizze, geöffnet, das Geöffnete, der Schlund, die Säfte, die Liebessäfte im Liebesarchiv. Judith, die jetzt Isabelle heisst, zog die Knie an und schob die Beine auseinander. Der Junge sah, was er noch nie gesehen hatte. Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln, lasen die Jungen im Hohen Lied, mit edlen Früchten, Zypernblumen und Narden. Sie kannten keine Zypernblumen, aber in einem Lustgarten wären sie auch gern gewandelt.
Der Vater hatte die Granatäpfel, das Knabenkraut und den Liebstöckl gekannt, der Vater, an dessen Hand der Junge damals gegangen war.
Der Vater ist in die Pilze gegangen, zur Frau; zur andern Frau, er kannte den Bovist, diesen knolligen, phalligen Stäubling, ein Rabenei, ein Teufels Mehlsack, weisslich aufgebläht, warzig, staubig stiebend.
Auch Pilze haben ein Geschlechtsleben, so steht es im Buch von Professor Gäumann, Ernst, der die Fortpflanzung der Pilze studiert hat. Er weiss, dass der sexuelle Entwicklungsgang durch Kopulationsängste eingeleitet wird. „Der männliche Kopulationsast bleibt einfach und besteht aus dem männlichen Gametangium, dem Antheridium. Der weibliche Kopulationsast erfährt morphologisch eine Höherentwicklung und gliedert sich in ein ein- oder mehrzelliges Empfängnisorgan, das Trichogyn, in welchem die Kerne frühzeitig degenerieren. Auf der Ausgangsstufe funktionieren die Kopulationsäste noch normal: sie umrollen sich schraubig, und der ein- oder mehrkernige Inhalt des Antheridiums tritt durch das Trichogyn in das Ascogon hinüber (Plasmogamie)“.
Der Vater hatte auch den Eichelschwamm gekannt, den phallus impudicus, mit schwülen Adern gegittert, netzartig gerunzelt, auch Brunstkugel genannt, emporgereckt, aufgerichtet, gehoben, erhoben.
Und er kannte den Hirschschwamm, der kräuselig ist, bauchig, spindelig, trichterig, faserig, ein Mauzenkraut. Und der Junge dachte an Judith, während der Vater sprach und die Schuppen von den Pilzen schabte, und er dachte an Pfarrer Sommer, der von den Frauen gesprochen hatte. Wie Rehzwillinge, die unter Rosen weiden sind deine Brüste, hatte der Pfarrer aus dem Hohen Lied Salomos zitiert. Deine Lippen meine Braut wie triefender Honigseim, Honig und Milch ist unter deiner Zunge, deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch des Libanon.
Die Jungen hätten gern an Judith gerochen.
Judith, Isabelle oder Marie, die Frau, das Weib, das Geöffnete, das Gekräuselte, so erscheint es in den Bildern, Ranke, die zur Rübe, die Feige, die zum Fisel neigt, lauter Pflanzen: Fotzenmaul und Fotzenzwang, Männertreu und Nabelkraut.
Waldstücke? Pflanzenstücke? Oder ein Jean Paul’sches Blumen-, Frucht- und Dornenstück?
Dunkel, doppelt dunkel, und wieder ein Rot, ein dünnes Rot, fadendünn, ein Rinnsal.
Da sind dann auch die Säfte wieder, da ist der Phall der Fall, aufgerichtet, emporgedrechselt. Das Rot im Weinrot vermischt, ineinandergeflossen, geronnen, zerronnen, Rinnsal, Labsal, wie die Pilze, wie Vera und Thomas im Buch: Zwei Wütende, zwei Zornentbrannte prallten aufeinander, ineinander, suchten den Schmerz, den Schlag, bäumten sich auf gegen etwas, das stark war, aber nicht zu fassen. Pilzkopulation wie sie der Herr Professor erläutert: „Einige männliche Kerne wandern ins weibliche über, ein männlicher und ein weiblicher Kern treten zusammen und verschmelzen. Der Fusionskern macht mehrere Teilungsschritte durch (Vgl. Abb.97), wobei sich wahrscheinlich eine Reduktionsteilung abspielt. Sie schneiden aus dem Plasma je eine Ascopore heraus, während die Gaumetangienkerne allmählich degenerieren, abfallen, erschlaffen“.
Abfall, Abschlaff, Ausklang, Abklang, Abspann. Nach dem Rot und dem Schwarz das bleiche Gelb auf dem Bild, sehr hell, der bleiche Morgen vielleicht. Post coitem omne animal triste, das graue Morgenlicht, fahl und schmutzig, die Laken feucht, die Gerüche eindringlich, Tollkirsche, Berberitze, Bengelkraut und Schotenklee. Buchtungen, Büchte, Bäusche, Gebauschtes, Spuren im Laken, rötlich, gerötet, Rinnsal, geronnen, Fadenspur, Fadensonne, Fadenschlieren.
Tag, nackter Tag, und dies Kribbeln noch, im Blut, ein Säuseln nur, ein Wispern. Und der Pilz, der sich fortwächst als Gift in den Adern, der Fliegenpilz, das Sinnbild für die unheimlichen Kräfte der Natur, auch in uns, das Soma und das Aphrodisische; sein Name geht zurück auf diesen alten Brauch: gezuckerte Pilzstücke mit Milch zu übergiessen und als Lockmittel für Fliegen zu verwenden, als Lockmittel, das tödlich wirkt, langsam triefend, säuselnd, in den Adern, ein stummes Stillwerden, schön und rot, fliegenpilzrot.
IIa
Monday, March 5th, 2007SchotenSchattenSchuppenPilze IIa
Ein assoziatives Textgewebe zu Bildern von Barbara Ellmerer.
von Urs Faes
Da ist zuerst das, ja was denn, das Rot, vielleicht das Rot, kräftig, massig vor dem Schwarz, rollend, quellend, züngelnd, leckend; und dann die Punkte, weiss, geflockt und geflammt; feinflockig weiss wie der Stamm, bandagenweiss; ein weisswarziger Gürtel, schorfartig, bröckelig, der in den Kopf wächst, mit einem Kragen von Grau, in den Hut, die Huthaut, den Pilzkopf mit Vorhaut; und dann ist auch noch das zitronenfarbige Fleisch.
Eine amorphe Gestalt also, züngelnd, schwebend, lockend, sehr lockend, ein Pilz, Fliegenpilz, amanita muscaria aureola, verheissungsvoll schön, wie der Name.
Verborgen unter dem schönen Anblick, ein Saft, geschmacklos, ein Gift, träufelnd, tropfend, verehrt im wedischen Somakult, ein Soma, das in andere Welten führt, aphrodisisch, ins Herz von Indra, ins Herz der Frau, der Lust, dem Tod, der langsam kommt, allmählich, stundengedehnt: der Exitus erfolgt nach zwei Tagen.
Am Grunde der Pilzgestalt dann diese eiförmig weisse Knolle, im Volksmund das Geschlecht, konzentrisch warzig, phallisch. Das hat schon immer, schon beim Ritter Parzival, Mannhaftigkeit, aufquellende Lust verheissen, das die Frauen ihren Männern, „wenn das Gemächte nach der Heuernte müde war“ in Liebestränken verabreichten zu neuer Lust, selbst wenn sie, bei Überdosis, tödlich war, zum Rot des aufschäumenden Bluts: der Passion.
Säfte, die schäumen, sich kräuseln, schleimig, sämig, sahnig.
Da ist das Thema angeschlagen: Der Knollen, das Geknotete, Gekräuselte, das Gemächte und Gewölle, pilzig, ein Geschlecht, schuppig, schattig, fliegenpilzrot.
So gehen wir ins Liebesarchiv, innerlich gespannt, Lust und Tod nah, und da sind sie wieder, die Farben, das Rot, ein verletzliches Rot hier, Wasserhaut, Gazeschleier.
Und das gekräuselte Schwarz, punktiert, gestrichelt, geschlängelt die Schlange: grüsst da Eva? Vom Baum der Erkenntnis her, nackt wie Judith im Buch, jetzt Vera, die so nackt aus dem Zimmer ging, wie er noch nie eine Frau aus dem Zimmer hatte gehen sehen.
Ihr Haar. Ihre Stimme.
Judith oder Vera? Oder einfach Frau? In Strich und Schraffur.
Die Frau als Auge und Mund und Ohr? Und je nach dem Blut, das dir quillt aus Aug, Mund oder Ohr wechselt der Schlüssel, heisst es bei Celan, der Schlüssel, der öffnet. Das Blut als die Wunde, die Verletzung, das Zeichen der Verletzlichkeit?
Ist darum das Rot dieser Bilder ein wasserweiches, durchscheinendes Rot, hineinwachsend ins Schwarz, ins gepünktelte, gekräuselte; schwarz, wühlend schwarz.
Später ein schon dunkleres Rot, fleckig, gefleckt, und wieder gekräuselt, gewöllt, schuppig, ja schuppig, zottig und zotig, pilzig. Pilz, Eichel, Bovist? Darüber kreisend der Strich, gewölbt, die Wölbung, das Gewölle?
Oeffnung wieder und wieder, Sprung und Springquell; und ein Hingehauchtes ist da noch, getupft, geschupft ins Weiss, ein Hauch, der sich niederschlägt am Glas, eine Kontur, ein Begehren. Eine Sehnsucht vielleicht doch? Die Sehnsucht Frau? Als Blume, wie das erotische Volkslexikon sie nennt, in vielen Namen: Jungfernbirne, Jungfernkitzel, Jungfernpalme, Jungfernrosmarin, Jungfernstrauch, Jungfernzucht, Jungfer im Haar, Jungfer im Hemd, Jungfer im Grün. So lauten die Namen von Pflanzen. Der Vater hat all die Namen gekannt, die Namen der Bäume und Pilze, der Frauen.
Oder einfach Frau? Als Blume: Frauenkraut, Frauenmantel, Frauennabel, Frauenhaar.
Der Knabe dachte an Judith.
Judith im knallroten Leibchen, ein Rouge carminé, das hatte den Zwölfjährigen verwirrt, eines Tages: weil es Judiths Brüste sehen liess, sehr weiss, mit etwas Dunklem, vielleicht ein Born oder Springquell. Pfarrer Sommer hatte den Zwölfjährigen aus dem Hohen Lied Salomos vorgelesen, von der Braut, die ein verschlossener Garten sei, ein versiegelter Born. Zwar wussten die Knaben nicht, was ein versiegelter Born sei, aber sie nickten.
Rot immer wieder auf diesen Bildern, dunkel geklumpt oder wässrig verwoben, verflochten. Das Rot der Pilze, der Fliegenpilze, blutrot, kirschrot, fleischrot, ein Scharlach, ein Scherbenrot.
Liebeszeichen, Blutzeichen? Die Farben fragen; Fragefarben sind da auf dem Weiss des Papiers, dem Weiss einer Landschaft, einer verborgenen, einer wiedergefundenen oder einer geahnten Sehnsucht?
Etwas, das fehlt, die Lücke, der Mangel?
P.P. by Y.L.S. at A.B.G.
Sunday, February 25th, 2007Weapons are instruments that carry messages much in the same ways that thoughts, images or pens do. Women used to kill with their tongues and poison pens and their particular arsenal of weapons. Yet there seem to have been always the need for little tools that can inflict instant physical harm. Such devices are of course only defensive. Hair pins and miniature weapons come to mind. A beautiful and metaphorically functional matching tea set and pistol from the finest east German porcelain can be found on display at the home of New York’s 69th Regiment, the Armory on Lexington Avenue – known also for the legendary 1913 Armory Show. Spectators were overheard speculating on the type of bullets these delicates may contain. They appear to be vessels for all kinds of poisons or drugs that would go well with tea. Chinese gunpowder tea perhaps? Maybe they serve best by reminding of the potential dangers of just “having a cup of tea” with someone.
“P.P. R28” © 2006 Yvonne Lee Schultz