SchotenSchattenPilze IIb

SchattenSchotenPilze IIb

von Urs Faes

Eine Kontur plötzlich  im Weiss, Striche, eine Linie.

Ist das eine Gestalt, die da herauswächst, aus dem Weiss des Papiers, hingebreitet, ausgebreitet, die Frau, das Weib, das hereinsinkt, kanaanitisch braun, wie es bei Benn heisst, in roten Strichen; und ein Duft kommt mit, kaum ein Duft, nur eine süsse Vorwölbung der Luft gegen das Gehirn. Haar vielleicht, Aug und Mund. Oder gar nur die Maske, vorgehalten vor das Gesicht oder vor eine weitere Maske, hinter der kein Gesicht ist, sondern nur eine Sehnsucht. Sehnsucht, sagt Vera im Buch, Sehnsucht, meinst du.

Sie hebt das Bein, den Schenkel, dunkel, wie im Bild, offen, offen vielleicht, das sehe ich in der Skizze, geöffnet, das Geöffnete, der Schlund, die Säfte, die Liebessäfte im Liebesarchiv. Judith, die jetzt Isabelle heisst, zog die Knie an und schob die Beine auseinander. Der Junge sah, was er noch nie gesehen hatte. Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln, lasen die Jungen im Hohen Lied, mit edlen Früchten, Zypernblumen und Narden. Sie kannten keine Zypernblumen, aber in einem Lustgarten wären sie auch gern gewandelt.

Der Vater hatte die Granatäpfel, das Knabenkraut und den Liebstöckl gekannt, der Vater, an dessen Hand der Junge damals gegangen war.

Der Vater ist in die Pilze gegangen, zur Frau; zur andern Frau, er kannte den Bovist, diesen knolligen, phalligen Stäubling, ein Rabenei, ein Teufels Mehlsack, weisslich aufgebläht, warzig, staubig stiebend.

Auch Pilze haben ein Geschlechtsleben, so steht es im Buch von Professor Gäumann, Ernst, der die Fortpflanzung der Pilze studiert hat. Er weiss, dass der sexuelle Entwicklungsgang durch Kopulationsängste eingeleitet wird. „Der männliche Kopulationsast bleibt einfach und besteht aus dem männlichen Gametangium, dem Antheridium. Der weibliche Kopulationsast erfährt morphologisch eine Höherentwicklung und gliedert sich in ein ein- oder mehrzelliges Empfängnisorgan, das Trichogyn, in welchem die Kerne frühzeitig degenerieren. Auf der Ausgangsstufe funktionieren die Kopulationsäste noch normal: sie umrollen sich schraubig, und der ein- oder mehrkernige Inhalt des Antheridiums tritt durch das Trichogyn in das Ascogon hinüber (Plasmogamie)“.

Der Vater hatte auch den Eichelschwamm gekannt, den phallus impudicus, mit schwülen Adern gegittert, netzartig gerunzelt, auch Brunstkugel genannt, emporgereckt, aufgerichtet, gehoben, erhoben.

Und er kannte den Hirschschwamm, der kräuselig ist, bauchig, spindelig, trichterig, faserig, ein Mauzenkraut. Und der Junge dachte an Judith, während der Vater sprach und die Schuppen von den Pilzen schabte, und er dachte an Pfarrer Sommer, der von den Frauen gesprochen hatte. Wie Rehzwillinge, die unter Rosen weiden sind deine Brüste, hatte der Pfarrer aus dem Hohen Lied Salomos zitiert. Deine Lippen meine Braut wie triefender Honigseim, Honig und Milch ist unter deiner Zunge, deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch des Libanon.

Die Jungen hätten gern an Judith gerochen.

Judith, Isabelle oder Marie, die Frau, das Weib, das Geöffnete, das Gekräuselte, so erscheint es in den Bildern, Ranke, die zur Rübe, die Feige, die zum Fisel neigt, lauter Pflanzen: Fotzenmaul und Fotzenzwang, Männertreu und Nabelkraut.

Waldstücke? Pflanzenstücke? Oder ein Jean Paul’sches Blumen-, Frucht- und Dornenstück?

Dunkel, doppelt dunkel, und wieder ein Rot, ein dünnes Rot, fadendünn, ein Rinnsal.

Da sind dann auch die Säfte wieder, da ist der Phall der Fall, aufgerichtet, emporgedrechselt. Das Rot im Weinrot vermischt, ineinandergeflossen, geronnen, zerronnen, Rinnsal, Labsal, wie die Pilze, wie Vera und Thomas im Buch: Zwei Wütende, zwei Zornentbrannte prallten aufeinander, ineinander, suchten den Schmerz, den Schlag, bäumten sich auf gegen etwas, das stark war, aber nicht zu fassen. Pilzkopulation wie sie der Herr Professor erläutert: „Einige männliche Kerne wandern ins weibliche über, ein männlicher und ein weiblicher Kern treten zusammen und verschmelzen. Der Fusionskern macht mehrere Teilungsschritte durch (Vgl. Abb.97), wobei sich wahrscheinlich eine Reduktionsteilung abspielt. Sie schneiden aus dem Plasma je eine Ascopore heraus, während die Gaumetangienkerne allmählich degenerieren, abfallen, erschlaffen“.

Abfall, Abschlaff, Ausklang, Abklang, Abspann. Nach dem Rot und dem Schwarz das bleiche Gelb auf dem Bild, sehr hell, der bleiche Morgen vielleicht. Post coitem omne animal triste, das graue Morgenlicht, fahl und schmutzig, die Laken feucht, die Gerüche eindringlich, Tollkirsche, Berberitze, Bengelkraut und Schotenklee. Buchtungen, Büchte, Bäusche, Gebauschtes, Spuren im Laken, rötlich, gerötet, Rinnsal, geronnen, Fadenspur, Fadensonne, Fadenschlieren.

Tag, nackter Tag, und dies Kribbeln noch, im Blut, ein Säuseln nur, ein Wispern. Und der Pilz, der sich fortwächst als Gift in den Adern, der Fliegenpilz, das Sinnbild für die unheimlichen Kräfte der Natur, auch in uns, das Soma und das Aphrodisische; sein Name geht zurück auf diesen alten Brauch: gezuckerte Pilzstücke mit Milch zu übergiessen und als Lockmittel für Fliegen zu verwenden, als Lockmittel, das tödlich wirkt, langsam triefend, säuselnd, in den Adern, ein stummes Stillwerden, schön und rot, fliegenpilzrot.

Leave a Reply