Oh
Friday, April 20th, 2007Oh, liliengekrönte Sappho, göttliche süss lächelnde. (Alkaios)
Oh, liliengekrönte Sappho, göttliche süss lächelnde. (Alkaios)
“Hier nun die Personen, die Personen ähneln, die man besucht hat – aber die nichts waren als Helden einer Fiktion”
(Jabès)
Welche Helden hinterlässt die Geschichte der Mathematik und des Computers? Es sind Helden der Zerstörung und es sind Helden der Hoffnung. Das ist die Hoffnung auf Gewinn (des Einsatzes von Maschinen in Wettbüros oder von Kalkülen im Spielcasino), das ist die Hoffnung auf Sicherheit (beim Einsatz von Maschinen zur Volkszählung oder bei der Bewältigung von Daten), das kann aber auch die Hoffnung sein, den Menschen verlässlich in eine andere Welt zu leiten, in eine Welt, die nicht alltäglich ist.
„Thus when I walk along the seashore and hear the great noise of the sea, I hear separate sounds of each wave but do not distinguish them; our confused perceptions are the result of the impressions made on us by the whole universe. It is the same with each monad“.
(Leibniz, Gottfried Wilhelm , The Principles of Nature and of Grace, Based on Reason [1714] [Translated by Leroy E. Loemker], in: Philosophical Papers and Letters, ed. Leroy E. Loemker (Dordrecht: D. Reidel, 1969, p. 640)
„Hier nun ein Buch, das einem Buch ähnelt – das selbst kein Buch war; sondern das Bild seines Versuchs“ (Jabès)
Hier der Computer, der einem Computer ähnelt, der selbst kein Computer war, sondern Bild eines Versuchs des Menschen, sich und die Welt in den Griff zu bekommen. Vielleicht auch Bild des Versuchs des Menschen, sich zu vergessen und an etwas zu denken, das ausserhalb seinerselbst liegt. Heute liegt ausserhalb des Menschen ein Vermögen: das Vermögen, die Untaten des Menschen zu begreifen. Sie nicht begreifen zu können, sie nicht mit einem Bild in den Begriff zu bekommen, das ist ein Versuch, ein wertvoller Versuch. Der Computer ebenso wie das vollendete Buch erscheinen kompakt. Sie stellen etwas dar. Sie behaupten sich. Sie lassen vergessen, dass der Versuch ein wertvolles Ziel ist.
Sie rufen an, weil sie programmiert sind, bestimmte Nummern aus einem Register zu wählen und diese zu prozessieren (Opera calling von Bitnik und Sven König). Die Frage lässt sich auch weiter verstehen. Anrufung kann nach Butlers Lektüre von Althusser bedeuten, dass jemand in eine Ordnung gerufen wird. Ein Mensch ruft jemanden an. Er spricht ihn mit einem Namen an. Der Name gliedert den so Angerufenen in eine Gemeinschaft ein. Das ist eine Gemeinschaft, die durch Sprache reguliert wird.
Ruft der Computer in diesem Sinne an? Eine email zu versenden, das bedeutet jemanden anzurufen. Doch das Prinzip der Anrufung verliert durch Spams seine Funktion. Spams fordern dazu auf, zwischen persönlichen und unpersönlichen Anrufungen zu unterscheiden. Email ist an sich schon ein Anrufung. Sie gliedert ein in Kommunikationsordnung des Internets ein. Es ist unhöflich, nicht zu antworten. Ebenso ist es unhöflich, Bekannte mit zahlreichen und umfangreichen emails zu belasten.
Wie ist es möglich, dass emails beleidigen? Emails können Vorwürfe, Schmähungen, Verurteilungen, Drohungen, die ganze Palette von verletztenden Sprechakten performieren. Das ist möglich, weil emails einen sozialen Bereich bestimmen, dem man nicht verlassen kann. Man kann nicht verlassen, weil man sonst ausserhalb des gesellschaftlichen Lebens steht. Insofern können Computer Anrufungen übermitteln, Schmähungen, Drohungen, allerdings können sie auch die Möglichkeit der gesellschaftlichen Existenz erhalten. Gedanken zu Judith Butler, Hass spricht – Zur Politik des Performativen [1997] (Frankfurft/M.: Suhrkamp, 2006).
Die Sprache von Jabès lässt die Verletzlichkeit und die schöpferische Kraft des Sprechens, des Schreibens und des Lesens erfahrbar werden. Wer arbeitet so mit dem Computer? Wer lässt die Verletzlichkeit und schöpferische Kraft des maschinengestützten Operierens erfahrbar werden?
Das ist offensichtlich, wird man sagen. Augen werden am Bildschirm geschädigt, die motorischen Fähigkeiten verkümmern, wenn man zu lange am Computer arbeitet. Das ist eine Ebene.
Eine andere Ebene der Verletzung möchte man ebenfalls für offensichtlich halten, nämlich den Einsatz von Computern zur Vernichtung oder Beherrschung. Der Computer kann als Mittel eingesetzt werden, um andere Menschen zu verletzen. Er kann als technische Anlage den Menschen, der an ihm arbeitet, schädigen.
Doch diese Ebenen wirken oberflächlich, wenn man beginnt, Judith Butler zu lesen. Sie überliegt, wie Sprache verletzen kann. Sie fragt grundsätzlich, was Sprache ist. So grundsätzlich müsste man fragen, was Computer sind. Sind sie blosse Instrumente oder Formen, die unser Verhältnis zur Welt bestimmen? Die Sprache bestimmt unser Verhältnis zur Welt. Insofern kann die Sprache verletzen, aber auch Leben ermöglichen.
Gilt das auch für Instrumente wie den Computer oder den Kompass? Sind sie blosse Mittel oder bestimmen sie grundsätzlich unser Verhältnis zur Welt?
Wir richten uns so fein symmetrisch ein in der Welt: Unsere Körper gleichen wir Idealmassen an. Ebenso gestalten wir unsere Aufenthaltsorte. Aber dann behauptet einer, dass diese Ordnungsvorgaben wie Proportion und Symmetrie Denkmittel sind und mit dem, was wir als Natur zu sehen gelernt haben, nichts gemeinsam haben.
Die Gestirne erscheinen bewegt. Auch Magnetsteine bewegen. Die Gründe der Bewegungen sind in beiden Fällen nicht wahrnehmbar. Wie sind die Menschen früher damit umgegangen? Sie glaubten an Götter und sie glaubten daran, dass die Götter die Planeten bewegen und dass Götter und Planeten den Menschen bewegen. Heute bieten die Naturgesetze Erklärungen an, doch der Grund aller Bewegung ist immer noch nicht geklärt. Daher die Theorien vom Urknall, daher auch das Interesse, im CERN und an anderen Orten die Bausteine der Materie zu erforschen.
Kant gibt zu bedenken, dass die Suche nach Ursachen eine Form des Verstehens ist. Sie entspringt dem menschlichen Verstand und hat nicht in der Natur eine Ursache.
Wie verhält es sich mit der Kultur. Wir wissen, dass der Mensch Klimaschwankungen, Nahrungsmittelmangel oder -überfluss verursacht. Damit haben wir noch nichts für die Bewältigung des Schadens geleistet, den der Mensch verursacht. Lässt sich das Handeln verändern? Können wir einen magnetischen Pol bestimmen, der uns hilft, die menschlichen Tätigkeiten gerechter einzusetzen?
Solch ein Pol ist der Pflichtbegriff Kants. Das klingt alles andere als ermutigend, oder doch?
Das Cern meldet einen Unfall, bei dem Magneten beteiligt sind. Das mag ein Zufall sein, kann aber auch ein Anlass sein, über den Magnetismus nachzudenken. The loving stone wird der Magnet in Antike und Mittelalter genannt. Um 1600 untersucht ihn William Gilbert experimentell und systematisch. Er übt sich darin, unwahrnehmbare Kräfte zu erproben. Das ist ein Faszinosum des Magnetismus, das er unwahrnehmbar wirkt. Der Mensch besitzt keine sinnliche Wahrnehmung für magnetische Kräfte. Er kann nur beobachten, was ein Magnet bewirkt: Anziehung und Abstossung.