Archive for October, 2006
Doppelpass
Wednesday, October 25th, 2006In: Zidane und ich. Brief eines Fussballspielers an seine Frau schildert Philippe Dubath das Glücksgefühl, das entsteht, wenn zwischen zwei Spielern ein Doppelpass gelingt. Der Doppelpass setzt etwas voraus, das Ahnung, Gefühl, Intuition genannt werden kann. Es setzt Training voraus. Doch zum Training und zur technischen Ausbildung muss dieses besondere Gespür und Glück hinzukommen. Ist dieses Gespür auf einen Mechanismus zurückführbar, der als Turing-Maschine darstellbar ist? Oder weisen der Doppelpass, ähnlich wie die Kombinationen Roger Federers oder die besonderen Momenten, in denen ein Kunstwerks gelingt, auf eine Intelligenz hin, die nicht logisch erfassbar ist. Wenn es eine solche Intelligenz gibt, dann gibt das Anlass zur Hoffnung.
P.S.: Hans-Jörg Rheinberger spürt besonderen Formen der Ausbildung von Intelligenz in wissenschaftlichen Laboren nach.
Der zur Käfiggrösse proportionale Abstand der Gitterstäbe
Wednesday, October 25th, 2006I I – –
Tuesday, October 24th, 2006Zu den Zeichen muss etwas hinzu kommen. Die Turingmaschine sieht einen Lese- und Schreibkopf vor und eine Tabelle. In der Tabelle ist festgehalten, wie die Maschine auf Zeichen reagiert. Diese Vorstellung kann sich im Kopf festsaugen. Man beginnt über seineeigene Wahrnehmungen nachzudenken und unterscheidet dann zwischen dem Zeichen, dem Zustand, in dem man ist und wie sich der Zustand durch das Zeichen ändert. Es kommt etwas hinein, trifft auf etwas im Inneren, ändert das Innere und das ändert dann etwas Aussen.
Gherasim Luca, der von inneren Kamelen schreibt, switcht in dem Gedicht Bumerang zwischen der Beschreibung innerer Zustände und der Beschreibung der äusseren Umgebung. Der Sofabezug sieht aus wie ein Stoppelfeld, im Inneren dürsten Kamele. Im Unterschied zur Turing-Maschine sind die im Gedicht beschriebenen Übergänge nicht strikt determiniert. Ich frage mich, ob Gherasim Luca noch so zwischen Wahrnehmungen und Empfindungen switchen könnte, wenn er sich des Mechanismus einer Turing-Maschine bewusst würde.
Offensichtlich läuft in meinem Inneren eine Maschine, die bestimmte differenzierte Wahrnehmungen gleich behandelt. Gleich behandelt sie Nachrichten über Urananlagen im Iran (“Es ist nur einige Gramm hier, einige Gramm da”), dem Monatsverdienst eines Fremdenführers in Simbabwe (100 Dollar offizieller Kurs/19,1 Dollar Schwarzmarktkurs), der seine Kinder aus Geldmangel von der Schule nehmen muss und Anzeigen hoher Uhrmacherkunst. Ich nehme diese Nachrichten wahr, mein Zustand ändert sich nicht. Meine Maschine ist nicht darauf ausgelegt, auf diese Wahrnehmungen differenziert zu reagieren.
Nachdenken muss ich allerdings bei der Bemerkung, dass die behelfsmässigen Häuser in Simbabwe nun mit grösseren Abstand als früher voneinander gebaut werden. Das ist eine Vorsichtsmassnahme, mit der die Bewohner der Hütten auf die Zerstörung der Behelfssiedlungen durch die Regierung reagieren. Der grössere Abstand zwischen den Hütten erlaubt es, bei einer Polizeiaktion “zumindest einige Gegenstände in Sicherheit” zu bringen. Diese Mitteilung löst bei mir den Prozess des Nachvollzugs aus. Ich stelle mir vor, dass die Bewohner einer Hütte die Zerstörung der Nachbarhütte vorausschauend als mögliches Signal verwenden, um ihre Hütte zu räumen, bevor das Zerstörungskommando auch sie erreicht. Der räumliche Abstand bedeutet einen zeitlichen Vorsprung, der zur Sicherung von Gegenständen genutzt werden kann.
Die Mitteilung verblüfft mich, löst in mir die gedankliche Tätigkeit der Relationsbildung zwischen Raum und Zeit aus. Messen bedeutet nach Nikolaus von Kues, dass eine Relation gestiftet wird. Das ist die zentrale Voraussetzung für das Erkennen. Was aber leistet hier Erkenntnis? Sie macht mir bewusst, dass ich unbeholfen Anteil nehme am Elend anderer, derer in Simbabwe zum Beispiel, von denen die NZZ Nr. 247, S.7 berichtet.
Meine Überlegungen gleichen dem Elend so wenig, wie ein Quadrat einem Kreis gleicht.
NZZ
Monday, October 23rd, 2006In den wolkenschweren Himmel ragt wie der gedachte Mast des Flosses der Medusa die Stange einer behelfsmässigen Unterkunft. Ihre Wände bestehen aus Stoffetzen und Papiersäcken mit der Aufschrift USA. Die Säcke enthielten vermutlich Lebensmittel, ein Wort mit C ist auf den Säcken undeutlich erkennbar. Welches amerikansiche Lebensmittel, das in Säcken geliefert wird, beginnt mit C? Verteilen die USA Couscous, oder enthielten die Säcke etwas anderes als Lebensmittel? Vor der Unterkunft steht ein Kanister mit der Aufschrift, die kaum als unesr (ein r, das spiegelverkehrt gesetzt ist) lesbar ist. Der Kanister steht zwischen zwei Frauen, die in die Kamera von Daud Yussuf/Reuters schauen. Ein Mann duckt sich zwischen Baumresten auf dem rotsandigen Boden. Auch Kinder sind zu sehen: “Somalische Flüchtlinge bauen im Grenzgebiet Kenyas eine behelfsmässige Unterkunft”. NZZ Nr. 246, S. 3.
und, selber am Verdursten, die Kamele in uns zur Oase geführt.
Monday, October 23rd, 2006Tagesworte aus: Bumerang – Ein Gedicht von Ghérasim Luca. In: Schreibheft 67, S. 17.