February 24th, 2007

sepia02.jpg

February 24th, 2007

180.jpg

Canto XI ?/07

February 23rd, 2007

Schreit es uns entgegen? Breitet es freundlich und hell Zuversicht aus? Zitronengelb oder Spülmittelgelb? Sengend oder singend? Ein klares Gelb, gleichmässig und souverän, stimmt der Sänger Newman an. Diesem Gelb korrespondiert ein satteres, zuversichtlicheres Grün. Hinter diesem Grün erstrahlt in Flecken, die sich zu gleissenden Ozeanen ausbreiten können, das Gelb. Was ist das für ein Gesang, der dem Gelb soviel Vermögen gestattet? Ein Gesang, der teilt, ungerecht teilt, der dem Gelb die Macht zugesteht, sich im Grün auszubreiten?

Newman halbiert in den Cantos Bildhälften oder er teilt sie in drei ungleiche Teile. Er viertelt nicht, er fünftelt nicht. Das eine wird geteilt in zwei oder in drei. Wenn es in drei Flächen geteilt wird, kommt ein weiteres Moment der Ungleichheit hinein. Denn eine Fläche der drei – Kunsthistoriker nennen sie wohl Zip – ist ein dünner Streifen, der schmal gegenüber den anderen bleibt.

Wenn wir den Gesang zu übersetzen beginnnen, die Farben als Symbole verstehen, zum Beispiel als Zeichen für die Wüste, die Sonne, die Nacht und das Polarmeer verstehen, dann verlassen wir die Ebene des visuellen Ausdrucks. Newman lädt uns dazu ein. Denn er nennt seine Lithographien Gesänge. Er legt so bereits nahe, Fläche und Farbe als Worte zu verstehen, die gesungen werden. Er ermutigt uns, die Wahrnehmung der Flächen und Farben in die Sprache zu übersetzen.

So, dann übertragen wir sie, zum Beispiel auf Sätze aus Nr.32, die an den Fussballkrawall in Catania erinnern, der mit einem Todesopfer und sechzig Verletzten endete. Hat diese Notiz etwas mit den Gesängen Newman`s gemeinsam? Nur indirekt, und zwar die Figur der Diskrepanz, die diese Notiz erfordert. Wir sollten nicht schnell die Notiz übersetzen, indem wir in dem gemeldeten Geschehen eine Zeichnung des Schiksals sehen. Wir sollten den gemeldeten Krawall nicht ästhetisieren und als Kontrast zwischen Gruppen auffassen. Uns bleibt, ihn als Anlass zu einem Gesang zu verstehen, zu einem Gesang in Anlehnung an Newman.

Es ist ein trauriger skeptischer Gesang, ein Gesang, der nicht feiert, der nicht stilisiert, sondern nennt und damit zur Sprache bringt, was schnell vergessen wird. Zur Sprache bringen, dass in unserer Welt Grausames geschieht, zur Sprache bringen, dass wir uns dem Grausamen ausliefern, zur Sprache bringen, das unser Gemüt verschlammt, wenn wir darauf verzichten, eine Sprache, eine Zeichenproduktion zu finden, die zumindest diese Diskrepanz zwischen Geschehen, Empfinden und Verstehen artikuliert.

Hierin liegt eine Setzung Newman`s. Er singt nicht als Schwärmer, er singt nicht beschwörend. Er singt die Kontraste, die Ungleichheit, die Machtverhältnisse, die schon durch die unterschiedlichen Wirkungen von Farben und Flächen artikuliert werden. Heroisch, sublim ist daran allein der Auftrag und die Pflicht, die Newman annimmt und weitergibt: Den Gesang nicht sterben zu lassen.

Stiefels Triumph

February 23rd, 2007

stifel.gif

Quelle: http://binomial.csuhayward.edu/EuropePrior.html
 

 

February 23rd, 2007

179.jpg

February 23rd, 2007

pilzausschnittblog.jpg

Ränder III SchotenSchattenpilze

February 23rd, 2007

Der Fliegenpilz, amanta muscaria aureola, von Barbara hat sein Gift (und gift heisst ja auch Geschenk) tief in meine Adern gesenkt (die Latenzzeit ist lange und lässt sich mit Eiswasser hinauszögern) und meine Gedanken in den Bereich der volkserotischen Pilz- und Pflanzenkunde gelenkt, um nicht zu sagen dahin verirrt. Und er hat mich in den Zusammenhang von Pflanze, Pilz und Erotik eintauchen lassen. Das kann zum Thema Kunst, Sex und Mathematik durchaus beitragen. Die Beispiele reichen weit zurück. So haben etwa die Aronsstabgewächse schon früh die erotischen Phantasien des Volkes angeregt. Der alte, volkstümliche Name lautet Stabwurz (=Peniswurzel) und hat eindeutig erotisch-sexuelle Konnotation. Bei den Griechen wurde die Pflanze mit Gesundheit und Geburt assoziiert, sie galt als Heilspflanze bei Unterleibsproblemen und wurde als Aphrodisiakum verwendet.  (Übrigens das oben erwähnte Ambra der Wale war unter Seefahrern der Kolonialzeit äusserst beliebt, denn es galt nicht nur als Duftstoff, sondern als eines der wirksamsten Aphrodisiaken und wurde schon damals zu einem hohen Preis gehandelt).
Zurück zum Stabwurz: Als Knollengewächs treibt er gerade im April eine merkwürdige Blüte, einen spannenhohen Stengel; vom Scheideblatt umhüllt ragt der rote Blütenkolben hervor. Dieser Blütenzapfen, mit hochroten Beeren besetzt, rief bei vielen Völkern frühzeitig mit dem Pint (Penis) hervor. Davon zeugen die Namen in Deutschland: Pappenpint, Pappenpitten, Pfaffenpint, Pfaffenzink. Dass der Aron erotische Bedeutung hat, zeigt auch der Name “Kilte”, Kiltblume. Kilte ist die Abendkühle (nordisch Kvöld).  Dieses Wort wird im Berndeutschen (z’Chuit gha, zu Kilt gehen) für das Treffen der Liebenden in der Abendkühle, wohl im Zwielicht der Dämmerung, verwendet, in welchem der Liebende der Geliebten die Kiltblume überreicht.
In seinem Buch von 1907 geht Dr. Aigremont diesen Zusammenhängen von Pflanzen und Volkserotik nach und weist gleich zu Beginn darauf hin, dass schon die Namen viel verraten: So wird etwa der bei Regen an Seen rasch wachsende Pompesel auch Bumskeule genannt; die Stinkmorchel (phallus impudicus) auch Eichelschwamm. Er hat innerhalb der Gruppe der Phalloiden durch seine Knollenform die erotische Phantasie  besonders angeregt. Das gilt auch für den Bovist, auch Rabenei geheissen oder Teufels Mehlsack, der stiebt und stäubt und Kühe brünstig machen soll (und den Melker dazu, was die Milch gleich in Schlagrahm verwandelt: das Meringue zum Puurezmorge).
Aber nicht nur Pilze, sondern auch Pflanzen waren erotisch aufgeladen, das verraten zunächst wiederum die Namen, etwa Keuschlamm, Kitzlerblume (Clitoria), Mauzenkraut (mauze, schlesisch für Vulva), nicht zu sprechen vom Bockskraut oder vom Hauhechel (Ononis spinosa), ein Ackerunkraut, das im Slovenischen auch Votzenhechler heisst, im Altdeutschen Vrouwenkriek. Überhaupt glaubte man schon in germanischer Zeit, dass Pflanzen beseelt sind und auf die Menschen in Liebe, Hass und Erotik wirken könnten. Nach Agrippas natürlicher Magie, Cöln 1510,  sind von Gott, dem Urquell, Kräfte ausgeströmt, auch in Pflanzen, unter denen die sexuellen Kräfte besondere Bedeutung gewinnen. Pflanzen, die äusserlich auf das Geschlechtliche hindeuten, helfen, so die Meinung, dem Geschlechtlichen. Als Beispiel wieder ein paar Namen: Hurenkraut, Jungferngras, Frauenfinger, Hodensack, Hundsrute, Gliedkraut, Kiltblume, Brunstkraut. Und selbst die Rose, davon später, ist voller  erotischer Anspielungen.
Lavendel galt, wie Majoran, Petersilie und Thymian, in der deutschen Volksmedizin als Vorbeugemittel gegen Empfängnis aber auch als Abtreibemittel. Die Mädchen tranken ihn als Tee, um die menses zu reizen und umso sicherer dem Liebesgenuss frönen zu können. Alte Kinderlieder stellen diese Kräuter mit Hochzeit und Brautschaft zusammen. So heisst ein Kinderlied, mit dem ich hier schliesse: Guten Tag, Herr Gärtnersmann,/ Haben Sie Lavendel,/Rosmarin und Thymian/Und ein wenig Quendel? Ja, Madame, das haben wir“.
        
 
 


 

 

 

February 23rd, 2007

amber.jpg

February 22nd, 2007

Ein australisches Fischerpaar hat es unverhofft zu Reichtum gebracht – durch das Erbrochene eines Pottwals. Dabei handelte es sich um den äußerst seltenen Parfümgrundstoff Ambra. Der Fund besitzt demnach einen Wert von mehr als 240.000 Euro

178.jpg

Canto X ?/07

February 22nd, 2007

Was kann nach dem Schwarz noch kommen?
Gelbschmutzig ist der Tag danach, der Tag nach der langen Nacht auf dem Polarmeer, der Tag nach der totalen Sonnenfinsternis, der völkervernichtenden Dunkelheit. Butterfett orange, gesättigt triumphierend, tritt eine Farbfläche im 10. Gesang auf. Das Schwarz ist überwunden, die Nacht ist überwunden, die Polarfahrt des Menschen hat scheinbar ein Ende gefunden. Die Sonne ist zurückgekehrt. Aber wie sieht sie nun aus?

Fett, gesättigt, als habe sie alles verschlungen, die Finsternis und das Gros der Menschheit. Es bleiben Flüchtlinge, die unter der bleiernen Sonne zu überleben versuchen. Die Sonne wird lange so bleiben. Newman, der Sänger, will es so. Er mutet uns den Anblick der gesättigten Farbe zu und er weist uns darauf hin, dass diese Sättigung alles durchdringt, Felder, Boden, Städte sowieso. Newman stellt dem Gelb der linken Bildhälfte seines 10. Gesangs ein Dunkelgrün zur Seite, unter dem das quälende, trimphierende Gelb hervor scheint.

Das Gelb der Wüste frisst sich durch das Grün der rechten Bildhälfte hindurch. Fressen sich mit dieser Beharrlichkeit auch die Zahlen hinein in unser Gemüt? Ist unser Gemüt verfault? Verfault das Grün unserer Empfindung? Breitet sich unter ihm der sengende Wüstensand aus? Wir nehmen es zur Kenntnis und nehmen es doch nicht zur Kenntnis.

Die wachsenden Zahlen der täglich gemeldeten Toten, ihr Wachstumsgesetz ist schwieriger zu bestimmen als die Progression der Primzahlen. Vielleicht kann ein Statistiker voraussagen, wie die Zahlen der gemeldeten Toten sich täglich ändern. Sicher wissen wir, dass die Zahl der Toten wachsen wird. Die Gründe dafür sind vielfältig, vermutlich auf Armut und Perspektivlosigkeit zurückzuführen. Dabei schlägt das Verbrechen Capriolen, die schwer zu berechnen sind.

NZZ Nr. 32 berichtet zum Beispiel eine verbrecherische Pirouette aus dem mexikanischen Badeort Acapulco: Bei Überfällen auf zwei Polizeiwachen sind sieben Personen erschossen worden. Die Bande der Mordenden täuschte vor, die Waffen der Polizisten überprüfen zu wollen. Die Bande trat in militärischer Kleidung auf und gab an, einen Film über die Arbeit der Polizei drehen zu wollen. In der ersten Wache wurden drei Polizisten getötet, in der zweiten zwei weitere, eine Sekretärin sowie ein Staatsanwalt.

Die Zahl der Morde und die Zahl der Hungernden korrodieren die Voraussetzungen unseres Lebens (das Grün, mit dem wir rechnen, von dem wir glauben, dass es uns erhalten wird).Und diese Korrosionen sind vermutlich nicht berechenbar. Leibniz war noch überzeugt, dass alles sorgfältig berechnet worden ist. Der Schöpfer habe alles vorhergesehen, wir wissen nur zu wenig, um diese Vorhersage nachvollziehen zu können. Newman ist auch ein Schöpfer, ein Schöpfer, der uns an unser Unvermögen erinnert, die Welt wahrzunehmen. Er singt. Traurig ist sein Gesang. Der 10. Canto ist besonders traurig. Es herrscht Therastimmung.