Ränder III SchotenSchattenpilze
Der Fliegenpilz, amanta muscaria aureola, von Barbara hat sein Gift (und gift heisst ja auch Geschenk) tief in meine Adern gesenkt (die Latenzzeit ist lange und lässt sich mit Eiswasser hinauszögern) und meine Gedanken in den Bereich der volkserotischen Pilz- und Pflanzenkunde gelenkt, um nicht zu sagen dahin verirrt. Und er hat mich in den Zusammenhang von Pflanze, Pilz und Erotik eintauchen lassen. Das kann zum Thema Kunst, Sex und Mathematik durchaus beitragen. Die Beispiele reichen weit zurück. So haben etwa die Aronsstabgewächse schon früh die erotischen Phantasien des Volkes angeregt. Der alte, volkstümliche Name lautet Stabwurz (=Peniswurzel) und hat eindeutig erotisch-sexuelle Konnotation. Bei den Griechen wurde die Pflanze mit Gesundheit und Geburt assoziiert, sie galt als Heilspflanze bei Unterleibsproblemen und wurde als Aphrodisiakum verwendet. (Übrigens das oben erwähnte Ambra der Wale war unter Seefahrern der Kolonialzeit äusserst beliebt, denn es galt nicht nur als Duftstoff, sondern als eines der wirksamsten Aphrodisiaken und wurde schon damals zu einem hohen Preis gehandelt).
Zurück zum Stabwurz: Als Knollengewächs treibt er gerade im April eine merkwürdige Blüte, einen spannenhohen Stengel; vom Scheideblatt umhüllt ragt der rote Blütenkolben hervor. Dieser Blütenzapfen, mit hochroten Beeren besetzt, rief bei vielen Völkern frühzeitig mit dem Pint (Penis) hervor. Davon zeugen die Namen in Deutschland: Pappenpint, Pappenpitten, Pfaffenpint, Pfaffenzink. Dass der Aron erotische Bedeutung hat, zeigt auch der Name “Kilte”, Kiltblume. Kilte ist die Abendkühle (nordisch Kvöld). Dieses Wort wird im Berndeutschen (z’Chuit gha, zu Kilt gehen) für das Treffen der Liebenden in der Abendkühle, wohl im Zwielicht der Dämmerung, verwendet, in welchem der Liebende der Geliebten die Kiltblume überreicht.
In seinem Buch von 1907 geht Dr. Aigremont diesen Zusammenhängen von Pflanzen und Volkserotik nach und weist gleich zu Beginn darauf hin, dass schon die Namen viel verraten: So wird etwa der bei Regen an Seen rasch wachsende Pompesel auch Bumskeule genannt; die Stinkmorchel (phallus impudicus) auch Eichelschwamm. Er hat innerhalb der Gruppe der Phalloiden durch seine Knollenform die erotische Phantasie besonders angeregt. Das gilt auch für den Bovist, auch Rabenei geheissen oder Teufels Mehlsack, der stiebt und stäubt und Kühe brünstig machen soll (und den Melker dazu, was die Milch gleich in Schlagrahm verwandelt: das Meringue zum Puurezmorge).
Aber nicht nur Pilze, sondern auch Pflanzen waren erotisch aufgeladen, das verraten zunächst wiederum die Namen, etwa Keuschlamm, Kitzlerblume (Clitoria), Mauzenkraut (mauze, schlesisch für Vulva), nicht zu sprechen vom Bockskraut oder vom Hauhechel (Ononis spinosa), ein Ackerunkraut, das im Slovenischen auch Votzenhechler heisst, im Altdeutschen Vrouwenkriek. Überhaupt glaubte man schon in germanischer Zeit, dass Pflanzen beseelt sind und auf die Menschen in Liebe, Hass und Erotik wirken könnten. Nach Agrippas natürlicher Magie, Cöln 1510, sind von Gott, dem Urquell, Kräfte ausgeströmt, auch in Pflanzen, unter denen die sexuellen Kräfte besondere Bedeutung gewinnen. Pflanzen, die äusserlich auf das Geschlechtliche hindeuten, helfen, so die Meinung, dem Geschlechtlichen. Als Beispiel wieder ein paar Namen: Hurenkraut, Jungferngras, Frauenfinger, Hodensack, Hundsrute, Gliedkraut, Kiltblume, Brunstkraut. Und selbst die Rose, davon später, ist voller erotischer Anspielungen.
Lavendel galt, wie Majoran, Petersilie und Thymian, in der deutschen Volksmedizin als Vorbeugemittel gegen Empfängnis aber auch als Abtreibemittel. Die Mädchen tranken ihn als Tee, um die menses zu reizen und umso sicherer dem Liebesgenuss frönen zu können. Alte Kinderlieder stellen diese Kräuter mit Hochzeit und Brautschaft zusammen. So heisst ein Kinderlied, mit dem ich hier schliesse: Guten Tag, Herr Gärtnersmann,/ Haben Sie Lavendel,/Rosmarin und Thymian/Und ein wenig Quendel? Ja, Madame, das haben wir“.