Canto XIV ?/07

March 2nd, 2007

Tiefes Blutrot, dann Braunrot, dann wieder tiefes Blutrot. Rot ist die Farbe des zwanzigsten Jahrhunderts: die rote Sonne Japans, gemischt mit dem Braun der Nazis und das Rot der kommunistischen Bewegungen, Rot der Hoffnung und Rot des Leids des zwanzigsten Jahrhunderts.

Einem Sänger könnte der Sänger Newman seine Gesänge gewidmet haben, einem Sänger, der vorsichtig die Zwischentöne der Literatur anschlägt, dem Sänger Louis Zukofsky. Zukofsky singt über den Einfall der Nazis in Paris. Newman hat es bei einem roten Gesang nicht belassen. Zunächst hatte er geplant, die Cantos mit dem 14. Blatt abzuschliessen. Doch dann habe ihm die Arbeit mit den roten Drucken so gut gefallen, dass er beschloss, 18 Gesänge zu drucken.

Es wäre auch zu wenig, mit Rot zu enden, dann wären wir entmutigt. Dann müssten wir den Kopf in den Sand stecken und uns weiterhin mit den blutigen Meldungen abfinden, wie den 191 getöteten Personen und 1800 Verletzten der Bombenanschläge auf die Madrider Nahverkehrszüge vor knapp drei Jahren.

Nr. 39 meldet, dass die mutmasslichen Attentäter nun vor Gericht stehen. Ihre gerechte Verurteilung ist notwendig, doch ebenso notwendig ist, dass unsere Fragen weitergehen und wir nicht einfach, den rotblutigen Vorhang vor das Geschehen ziehen. Der Gesang, Trauergesang, Gesang der Hoffnung darf nicht enden.

Weisse

March 2nd, 2007

Und Gott sagt zum Menschen:
„Ich bin von Deinen Schöpfungen, die despotischste, die besessenste und die rätselhafteste nach dem Verb“
Und der Mensch sagt:
„Bin ich das Verb?“
Und Gott sagt:
„Ich bin die Befragung des Verbs.“
Und der Mensch sagt:
„Bin ich das Verb, das in Frage steht?“
Und Gott sagt:
„Dass Dein Hauch, oh Weisse, die bevorzugte Beschriftung im schwarzen Marmor Meines Worts sei. Von dem, was während des Tages fiebrig geschrieben wird, erlauben uns die Tafeln der Nacht die Lektüre“.

Edmond Jabès

March 2nd, 2007

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Muttererde

March 1st, 2007

“Jede Geste, jedes Zeichen, all das, dessen ständige Offenbarung die Zeichen sind, setzt eine Trennung voraus, einen radikalen Abstand von der Identität: als Identität des Selbst mit der eigenen Muttererde, mit der eigenen Sprache, mit sich selbst.” Massimo Cacciari: “Die Weisse und die Schwärze”. In: Röller, Nils: Migranten.

Hinter dem Ofen hocken

March 1st, 2007

“Nun habe ich noch keinen klugen Mann kennengelernt, der nicht gern erfahren hätte, welchen tieferen Sinn diese Geschichte hat und was sie an guten Lehren bietet. Sie wird freilich, wie ein tüchtiger Turnierritter, nicht versäumen, zu fliehen und zu jagen, zu weichen und anzugreifen.” Das Verhalten der Geschichte richtet sich nach den Eigenschaften der Lesenden, der wiederum aus der Geschichte nutzen zieht und sich nach ihr richtet: “Wer sich in all diesen Wechselfällen auskennt, den hat sein Verstand recht geleitet. Er wird nicht hinter dem Ofen hocken, nicht irregehen und sich auch sonst gut in der Welt zurechtfinden. Unredliche Gesinnung gegen andere führt ins Feuer der Hölle und zerstört alles Ansehen wie Hagelwetter. Die Zuverlässigkeit solcher Gesinnung hat einen so kurzen Schwanz, dass sie schon den dritten Stich nicht mehr abwehren kann, wenn im Walde die Bremsen über sie herfallen“ Parzival, I, 1: 5f.


March 1st, 2007

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Canto XIII ?/07

March 1st, 2007

Es ist einfach genug. In zwei Weltkriege haben sich die Amerikaner bereits einmischen müssen, der Pazifik gehört mittlerweile Amerika, die Kulturgeschichte auch. Whitman und Pound sichern Amerika in Langgedichten die Hohheit über die Weltkultur. Ihren Cantos setzt Newman die Gesänge von 18 Lithographien entgegen.

Setzt er entgegen oder hält er schlicht inne? Innehalten ist Bedingung für Veränderung. Nicht plötzlich anrennen oder voreilig frustiert, Gemüt und Gliedmassen vor der Gewalt strecken: Nein, Atem holen und dann beharrlich einen eigenen Kurs entwickeln und halten. Newman setzt der Sinnproduktion, dem Kampf um die Weltherrschaft der Zeichen, Flächen und Farben entgegen, fängt sie ein, siebt sie aus. Was können sprachliche Zeichen angesichts der Flächen leisten?

Newman, der Sänger, hält Töne, testet und wägt ab. Er ist ein Mann der Verhältnisse. Abwägen bedeutet nicht Messen, sondern Verhältnisse zu bedenken, zu empfinden. Empfinden wird möglich, wenn das Gemüt seine gewöhnlichen Muster verlässt, überrascht wird oder sich ausruht und entspannt das Meer betrachtet, die Wüste, den Himmel, die Farben und Flächen Newman`s.

Hilft dies weiter angesichts der heutigen Zeichenproduktion? Macht es Sinn zu atmen, innezuhalten angesichts einer Meldung aus der südafghanischen Provinz Kandahar, die mitteilt, dass mindestens drei afghanische Wächter einer amerikanischen Sicherheitsfirma bei einem Anschlag getötet wurden? Zwei Wachmänner seien bei der Explosion des fern gezündeten Sprengsatzes verletzt worden (Nr. 32). Es macht Sinn, hier nach den Verhältnissen zu fragen, nach den konkreten Hintergründen.

Es macht auch Sinn zu fragen, was das bedeutet. Denn diese Fragen werden neben konkreten Antworten auch weitere Fragen aufreissen, die unser Verhältnis zur Welt betreffen, deren Geschehen unsere Fähigkeiten derzeit überfordert. Doch Überforderung war bisher immer auch eine Chance. Um sich ihr zu stellen, ist es notwendig, die Muster auszuwechseln. So verstehe ich die beharrliche Arbeit und Sorgfalt Newman`s, der uns vermittelt, dass wir anders singen lernen können.

February 28th, 2007

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February 28th, 2007

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Canto XII ?/07

February 28th, 2007

Etwas entgegenhalten? Einen Schirm suchen? Das gleissende Gelb abschirmen, sich vor ihm verkriechen? Newman`s Gelb stellt Fragen. Es fordert: Mut oder Bescheidenheit? Man denkt an Sonnenanbeter, die sich vor der Sonne niederknien oder an Xerxes. Der hiess seine Soldaten ein Gewässer auspeitschen, das sich nicht mit einer Brücke überqueren liess. Man möchte diesem Gelb, das nun schon den dritten Gesang beherrscht, etwas entgegenwerfen.

Vielleicht einen eigenen Gesang? Das Gelb mit Sinn bewerfen? Mit Prinzipien, Figuren, Spielen? Das wird vergeblich sein. Das Gelb wird alles verschlucken. Draller, kräftiger als wir wird es danach erscheinen. Sollen wir so vergeblich unsere Einbildungskräfte, Worte und Bilder auch den Zahlen der Toten entgegenwerfen?

Die NZZ meldet am Wochende, dass ein Toter den anderen Toten entgegengeworfen wird. Die ermordeten Soldaten der Revolutionsgarde sollen so gerächt worden sein. Von einem Anschlag auf die Garde, der elf Personen das Leben gekostet hat, berichtet Nr. 38. Wenige Nummern später erfahren wir, dass der Attentäter gefasst, verurteilt und zu Tode hingerichtet worden ist.

Gewalt wird Gewalt entgegengesetzt. Also: das Gelb des Sängers mit einem eigenen Gelb zu beschleudern und zu vertreiben? Verstehen wir doch das Gelb als Segel, das unsere Kräfte einfängt, als freundliches Segel, das sogar das Grün an seiner Seite erhebt und Wucht gewinnen lässt. Die Gesänge sammeln und bündeln dann als Segel unsere verstreuten Einbildungen und setzen uns in Bewegung.

Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Nachrichten von Toten übertragen. Sie können dazu beitragen, dass wir unsere menschlichen Eigenschaften fokussieren und tätig werden lassen, indem wir unser Verantwortungsbewusstsein schulen.