Archive for March, 2007

Warten

Wednesday, March 7th, 2007

Wir sind in der Zeit. Dann fallen wir aus der Zeit, fallen in eine Zeit der Ungewissheit und des Wartens. Ein Zug verspätet sich, ein Flugzeug kann nicht starten, unser Zeitplan gerät aus den Fugen und wir haben plötzlich eine Zeit, die wir nicht wollten.

Wednesday, March 7th, 2007

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Tuesday, March 6th, 2007

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SchotenSchattenPilze IIb

Tuesday, March 6th, 2007

SchattenSchotenPilze IIb

von Urs Faes

Eine Kontur plötzlich  im Weiss, Striche, eine Linie.

Ist das eine Gestalt, die da herauswächst, aus dem Weiss des Papiers, hingebreitet, ausgebreitet, die Frau, das Weib, das hereinsinkt, kanaanitisch braun, wie es bei Benn heisst, in roten Strichen; und ein Duft kommt mit, kaum ein Duft, nur eine süsse Vorwölbung der Luft gegen das Gehirn. Haar vielleicht, Aug und Mund. Oder gar nur die Maske, vorgehalten vor das Gesicht oder vor eine weitere Maske, hinter der kein Gesicht ist, sondern nur eine Sehnsucht. Sehnsucht, sagt Vera im Buch, Sehnsucht, meinst du.

Sie hebt das Bein, den Schenkel, dunkel, wie im Bild, offen, offen vielleicht, das sehe ich in der Skizze, geöffnet, das Geöffnete, der Schlund, die Säfte, die Liebessäfte im Liebesarchiv. Judith, die jetzt Isabelle heisst, zog die Knie an und schob die Beine auseinander. Der Junge sah, was er noch nie gesehen hatte. Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln, lasen die Jungen im Hohen Lied, mit edlen Früchten, Zypernblumen und Narden. Sie kannten keine Zypernblumen, aber in einem Lustgarten wären sie auch gern gewandelt.

Der Vater hatte die Granatäpfel, das Knabenkraut und den Liebstöckl gekannt, der Vater, an dessen Hand der Junge damals gegangen war.

Der Vater ist in die Pilze gegangen, zur Frau; zur andern Frau, er kannte den Bovist, diesen knolligen, phalligen Stäubling, ein Rabenei, ein Teufels Mehlsack, weisslich aufgebläht, warzig, staubig stiebend.

Auch Pilze haben ein Geschlechtsleben, so steht es im Buch von Professor Gäumann, Ernst, der die Fortpflanzung der Pilze studiert hat. Er weiss, dass der sexuelle Entwicklungsgang durch Kopulationsängste eingeleitet wird. „Der männliche Kopulationsast bleibt einfach und besteht aus dem männlichen Gametangium, dem Antheridium. Der weibliche Kopulationsast erfährt morphologisch eine Höherentwicklung und gliedert sich in ein ein- oder mehrzelliges Empfängnisorgan, das Trichogyn, in welchem die Kerne frühzeitig degenerieren. Auf der Ausgangsstufe funktionieren die Kopulationsäste noch normal: sie umrollen sich schraubig, und der ein- oder mehrkernige Inhalt des Antheridiums tritt durch das Trichogyn in das Ascogon hinüber (Plasmogamie)“.

Der Vater hatte auch den Eichelschwamm gekannt, den phallus impudicus, mit schwülen Adern gegittert, netzartig gerunzelt, auch Brunstkugel genannt, emporgereckt, aufgerichtet, gehoben, erhoben.

Und er kannte den Hirschschwamm, der kräuselig ist, bauchig, spindelig, trichterig, faserig, ein Mauzenkraut. Und der Junge dachte an Judith, während der Vater sprach und die Schuppen von den Pilzen schabte, und er dachte an Pfarrer Sommer, der von den Frauen gesprochen hatte. Wie Rehzwillinge, die unter Rosen weiden sind deine Brüste, hatte der Pfarrer aus dem Hohen Lied Salomos zitiert. Deine Lippen meine Braut wie triefender Honigseim, Honig und Milch ist unter deiner Zunge, deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch des Libanon.

Die Jungen hätten gern an Judith gerochen.

Judith, Isabelle oder Marie, die Frau, das Weib, das Geöffnete, das Gekräuselte, so erscheint es in den Bildern, Ranke, die zur Rübe, die Feige, die zum Fisel neigt, lauter Pflanzen: Fotzenmaul und Fotzenzwang, Männertreu und Nabelkraut.

Waldstücke? Pflanzenstücke? Oder ein Jean Paul’sches Blumen-, Frucht- und Dornenstück?

Dunkel, doppelt dunkel, und wieder ein Rot, ein dünnes Rot, fadendünn, ein Rinnsal.

Da sind dann auch die Säfte wieder, da ist der Phall der Fall, aufgerichtet, emporgedrechselt. Das Rot im Weinrot vermischt, ineinandergeflossen, geronnen, zerronnen, Rinnsal, Labsal, wie die Pilze, wie Vera und Thomas im Buch: Zwei Wütende, zwei Zornentbrannte prallten aufeinander, ineinander, suchten den Schmerz, den Schlag, bäumten sich auf gegen etwas, das stark war, aber nicht zu fassen. Pilzkopulation wie sie der Herr Professor erläutert: „Einige männliche Kerne wandern ins weibliche über, ein männlicher und ein weiblicher Kern treten zusammen und verschmelzen. Der Fusionskern macht mehrere Teilungsschritte durch (Vgl. Abb.97), wobei sich wahrscheinlich eine Reduktionsteilung abspielt. Sie schneiden aus dem Plasma je eine Ascopore heraus, während die Gaumetangienkerne allmählich degenerieren, abfallen, erschlaffen“.

Abfall, Abschlaff, Ausklang, Abklang, Abspann. Nach dem Rot und dem Schwarz das bleiche Gelb auf dem Bild, sehr hell, der bleiche Morgen vielleicht. Post coitem omne animal triste, das graue Morgenlicht, fahl und schmutzig, die Laken feucht, die Gerüche eindringlich, Tollkirsche, Berberitze, Bengelkraut und Schotenklee. Buchtungen, Büchte, Bäusche, Gebauschtes, Spuren im Laken, rötlich, gerötet, Rinnsal, geronnen, Fadenspur, Fadensonne, Fadenschlieren.

Tag, nackter Tag, und dies Kribbeln noch, im Blut, ein Säuseln nur, ein Wispern. Und der Pilz, der sich fortwächst als Gift in den Adern, der Fliegenpilz, das Sinnbild für die unheimlichen Kräfte der Natur, auch in uns, das Soma und das Aphrodisische; sein Name geht zurück auf diesen alten Brauch: gezuckerte Pilzstücke mit Milch zu übergiessen und als Lockmittel für Fliegen zu verwenden, als Lockmittel, das tödlich wirkt, langsam triefend, säuselnd, in den Adern, ein stummes Stillwerden, schön und rot, fliegenpilzrot.

Tuesday, March 6th, 2007

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Monday, March 5th, 2007

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IIa

Monday, March 5th, 2007

SchotenSchattenSchuppenPilze IIa


Ein assoziatives Textgewebe zu Bildern von Barbara Ellmerer.

von Urs Faes

Da ist zuerst das, ja was denn, das Rot, vielleicht das Rot, kräftig, massig vor dem Schwarz, rollend, quellend, züngelnd, leckend; und dann die Punkte, weiss, geflockt und geflammt; feinflockig weiss wie der Stamm, bandagenweiss; ein weisswarziger Gürtel, schorfartig, bröckelig, der in den Kopf wächst, mit einem Kragen von Grau, in den Hut, die Huthaut, den Pilzkopf mit Vorhaut; und dann ist auch noch das zitronenfarbige Fleisch.
Eine amorphe Gestalt also, züngelnd, schwebend, lockend, sehr lockend, ein Pilz, Fliegenpilz, amanita muscaria aureola, verheissungsvoll schön, wie der Name.

Verborgen unter dem schönen Anblick, ein Saft, geschmacklos, ein Gift, träufelnd, tropfend, verehrt im wedischen Somakult, ein Soma, das in andere Welten führt, aphrodisisch, ins Herz von Indra, ins Herz der Frau, der Lust, dem Tod, der langsam kommt, allmählich, stundengedehnt: der Exitus erfolgt nach zwei Tagen.
Am Grunde der Pilzgestalt dann diese eiförmig weisse Knolle, im Volksmund das Geschlecht, konzentrisch warzig, phallisch. Das hat schon immer, schon beim Ritter Parzival, Mannhaftigkeit, aufquellende Lust verheissen, das die Frauen ihren Männern, „wenn das Gemächte nach der Heuernte müde war“ in Liebestränken verabreichten zu neuer Lust, selbst wenn sie, bei Überdosis, tödlich war, zum Rot des aufschäumenden Bluts: der Passion.
Säfte, die schäumen, sich kräuseln, schleimig, sämig, sahnig.
Da ist das Thema angeschlagen: Der Knollen, das Geknotete, Gekräuselte, das Gemächte und Gewölle, pilzig, ein Geschlecht, schuppig, schattig, fliegenpilzrot.

So gehen wir ins Liebesarchiv, innerlich gespannt, Lust und Tod nah, und da sind sie wieder, die Farben, das Rot, ein verletzliches Rot hier, Wasserhaut, Gazeschleier.

Und das gekräuselte Schwarz, punktiert, gestrichelt, geschlängelt die Schlange: grüsst da Eva? Vom Baum der Erkenntnis her, nackt wie Judith im Buch, jetzt Vera, die so nackt aus dem Zimmer ging, wie er noch nie eine Frau aus dem Zimmer hatte gehen sehen.
Ihr Haar. Ihre Stimme.
Judith oder Vera? Oder einfach Frau? In Strich und Schraffur.
Die Frau als Auge und Mund und Ohr? Und je nach dem Blut, das dir quillt aus Aug, Mund oder Ohr wechselt der Schlüssel, heisst es bei Celan, der Schlüssel, der öffnet. Das Blut als die Wunde, die Verletzung, das Zeichen der Verletzlichkeit?
Ist darum das Rot dieser Bilder ein wasserweiches, durchscheinendes Rot, hineinwachsend ins Schwarz, ins gepünktelte, gekräuselte; schwarz, wühlend schwarz.
Später ein schon dunkleres Rot, fleckig, gefleckt, und wieder gekräuselt, gewöllt, schuppig, ja schuppig, zottig und zotig, pilzig. Pilz, Eichel, Bovist? Darüber kreisend der Strich, gewölbt, die Wölbung, das Gewölle?

Oeffnung wieder und wieder, Sprung und Springquell; und ein Hingehauchtes ist da noch, getupft, geschupft ins Weiss, ein Hauch, der sich niederschlägt am Glas, eine Kontur, ein Begehren. Eine Sehnsucht vielleicht doch? Die Sehnsucht Frau? Als Blume, wie das erotische Volkslexikon sie nennt, in vielen Namen: Jungfernbirne, Jungfernkitzel, Jungfernpalme, Jungfernrosmarin, Jungfernstrauch, Jungfernzucht, Jungfer im Haar, Jungfer im Hemd, Jungfer im Grün. So lauten die Namen von Pflanzen. Der Vater hat all die Namen gekannt, die Namen der Bäume und Pilze, der Frauen.
Oder einfach Frau? Als Blume: Frauenkraut, Frauenmantel, Frauennabel, Frauenhaar.
Der Knabe dachte an Judith.
Judith im knallroten Leibchen, ein Rouge carminé, das hatte den Zwölfjährigen verwirrt, eines Tages: weil es Judiths Brüste sehen liess, sehr weiss, mit etwas Dunklem, vielleicht ein Born oder Springquell. Pfarrer Sommer hatte den Zwölfjährigen aus dem Hohen Lied Salomos vorgelesen, von der Braut, die ein verschlossener Garten sei, ein versiegelter Born. Zwar wussten die Knaben nicht, was ein versiegelter Born sei, aber sie nickten.

Rot immer wieder auf diesen Bildern, dunkel geklumpt oder wässrig verwoben, verflochten. Das Rot der Pilze, der Fliegenpilze, blutrot, kirschrot, fleischrot, ein Scharlach, ein Scherbenrot.
Liebeszeichen, Blutzeichen? Die Farben fragen; Fragefarben sind da auf dem Weiss des Papiers, dem Weiss einer Landschaft, einer verborgenen, einer wiedergefundenen oder einer geahnten Sehnsucht?
Etwas, das fehlt, die Lücke, der Mangel?

 

Monday, March 5th, 2007

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Canto XVI ?/07

Monday, March 5th, 2007

Die Gewalt drängt, sie erreicht uns täglich in den Zeitungen und Fernsehnachrichten. Zeitweilig erschüttert sie uns, meistens irritiert sie uns, überwiegend nehmen wir ihr Referat achselzuckend zur Kenntnis. Beschäftigen wir uns mit einzelnen Meldungen wie zum Beispiel in Nr. 40, dann investieren wir Zeit, die uns für die alltäglichen Geschäfte fehlt. Wir spüren, dass wir den Boden unter den Füssen verlieren, wenn wir den Nachrichten folgen. Sie sprechen eine klare Botschaft. Es kann nicht so weiter gehen; dennoch wollen wir, dass es weitergeht und vertagen unsere Beschäftigung mit den Botschaften und den Konsequenzen für unser Leben.

Wir trennen ab, teilen auf, orden zu. Ein Teil unserer Zeit gehört den Nachrichten, ein anderer Teil unseren Aufgaben, ein weiterer Teil unserer Entwicklung. Newman stört diese Aufteilung. Ihn stört, dass Kritiker die Gliederung seiner Gemälde und Lithographien in unterschiedliche Farbflächen als Aufteilung, als Trennung, begreifen. Den weissen Streifen, den er auf den Lithostein klebt, um beim Druck ein weisses Band (Zip) zu erzeugen, sah er nicht als Trennmittel, nicht als Mittel, das eine Fläche in drei Flächen teilt, sondern als Mittel um „Onement“ zu realisieren.

“Onement” bedeutet, dass die Farbflächen miteinander eine Einheit bilden. Diese Einheit bildet sich vermittelts der Unterscheidung. Können wir die Nachrichten von Toten als Zips verstehen, als Teile unserer Existenz? Ja, aber dabei kann es nicht bleiben. Sie sind nicht Teil im Sinne eines oberflächlichen ästhetischen Arrangements von Welterfahrung, sondern üben eine Funktion aus. Sie artikulieren die Zumutung der Welt, lassen die Zumutung der Welt erfahrbar werden.

Diese Zumutung ist ein Anlass von Newman Gesängen. Seine Cantos sind Aufforderungen, dass auch wir singen und mitteilen, dass wir im Aufruhr sind. Nebenbei sei bemerkt, dass Newman mit dem Titel des „onement“ ein Konzept der modernen Mathematik anspricht, des Intuitionismus. Der spricht von der Zwei-Einheitlichkeit des Denkens. Sie beruht auf der Einsicht in Wechsel von vergangenen und gegenwärtigen Momenten, die jegliche menschliche Erfahrung als zeitlich begreift.

Sunday, March 4th, 2007

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