February 22nd, 2007

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February 22nd, 2007

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Canto IX ?/07

February 21st, 2007

Voilà, nun erneut Schwarz, ein schwarzer Balken dominiert die Wahrnehmung. Er steht links, am Anfang, dort, wo wir zu lesen beginnen. Es ist das Schwarz des Anfangs. Ist es das Schwarz des Anfangs? Oder ist es das Schwarz, das auf uns zukommen wird, wenn wir so weiter schreiben? Wenn wir die Welt mit den schwarzen Zeichen bedeckt haben? Zweierlei Schwarz: Das Schwarz des Dunkels, das die Mythologien an den Beginn der Schöpfung stellen; das Schwarz der Schrift, mit dem die Menschen die Natur überschreiben. Schwarz am Ende und Schwarz am Anfang. Hier steht es am Beginn der Lesebewegung. Der Blick zieht es mit, es wirft seinen Schatten auf das Aralblau, das vier Fünftel des Blatts bedeckt.

Apropos Fünftel. Wir befinden uns jetzt in der Hälfte von Newman`s Cantos. Es ist das neunte Blatt. Es werden noch weitere Blätter folgen. Die Numerierungen der Blätter schreiten fort wie das Schwarz, wie eine Walze, die einmal in Bewegung gesetzt, nicht mehr zu stoppen ist, so bewegen sich die Zahlen: Canto I, Canto II, Canto III, Canto IV… Doch die Bewegung wird abbrechen, sie wird nach neun weiteren Blättern abbrechen. Wird sie abbrechen? Die Bewegung der Zahlen hat eine Bewegung der Farben und Flächen in Gang gesetzt, die kein Ende finden muss, aber kann. So verstehe ich das Fünftel schwarzer Fläche am linken Bildrand. Es lässt die Möglichkeit weiterer Farbwechsel erstrahlen. Es ist als Anfang und Ende, Anfang der natürlichen Schöpfung und Ende der menschlichen Schöpfung konzipierbar.

Der Migrant Jabès spricht vom Schwarz der Buchstaben und dem Weiss der Seite. Das Weiss ist die Wüste, das Schwarz ist die Zeichenwüste, die dem Menschen mit der Schöpfung übergeben wurde. Der Migrant wandert von Wüste zu Wüste, zwischen der Wüste der versengenden Sonne, dem Hunger und dem Durst und der Wüste des Verlangens der Buchstaben, die Sehnsucht nach dem, was die Zeichen bedeuten, weckt. Das kann eine Sehnsucht nach der Quelle der Welt und eine Sehnsucht nach der Quelle der Urheber der Zeichen sein. Vielleicht haben Welt und Zeichen gemeinsame Urheber?

Kann es sein, dass die Schöpfung vorhergesehen hat, was der Mensch mit ihr alles anstellen wird? Dass der Mensch schreiben wird, dass er andere Menschen erschlagen, chikanieren, quälen und foltern wird, dass er auch die Natur chikanieren wird? Hat das die Schöpfung vorhergesehen, als sie die Welt aus dem Dunkel treten liess?

Dem Schwarz kann man alles zumuten. Vielleicht hat Newman es deshalb am linken Rand in der Hälfte der Cantos platziert. Es ist ein Angebot abzulegen, abzuwerfen. Es ist eine Ablage, auf der die Mühe des Vorherigen platziert werden kann. Es kann den Ekel, das Unwürdige, den Schrott, das Scheitern aufnehmen. Es ist ein Abgrund. Dieser Abgrund entlastet. Zugleich kann es immer wieder auftauchen. Es taucht bei Newman immer wieder auf, damit taucht auch alles Abgelagerte wieder auf, das von Menschen Geschaffene, die verursachte Trauer, aber auch die Hoffnung, allerdings weiss man nicht welche Hoffnung:

NZZ Nr. 38
NZZ Nr. 23
NZZ Nr. 20
NZZ Nr. 19
NZZ Nr. 28
NZZ Nr. 18?
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February 21st, 2007

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February 20th, 2007

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Canto VIII ?/07

February 20th, 2007

Die Teilung steht. Sie stellt fest. Sie entscheidet, was links und was rechts ist. Links und Rechts, das sind zwei Welten, die sich auf einem schmalen Grat berühren: Rechts-Links, West-Ost, Nord-Süd, Reich-Arm, Gläubig-Ungläubig,Verlierer-Gewinner, diese Gegensätze berühren sich, berühren sie sich?

Die Welt ist geteilt. Barnett Newman hält es so fest. Er teilt eine Bildfläche in zwei gleiche Hälften, so als gebe es eine gerechte Aufteilung einer Fläche. Zugleich schafft er Ungleichgewichte. Die Farbe der einen Seite drängt sich hintergründig auf, scheint hinter der Farbe auf der anderen Seite auf und umgekehrt. Die Farben lassen eine solche strikte Trennung nicht zu, sie gewinnen wechselseitig im Kontrast. Barnett Newman legt es darauf an, dass sie sich unvorhersehbar vom Hintergrund in den Vordergrund spielen. Einmischen, aber nicht Durchmischen oder Aufmischen, so stelle ich mir auch ästhetische Strategien vor, die sich mit den bestehenden Ungerechtigkeiten nicht zufrieden geben. Gegen die Ungerechtigkeit unserer Wahrnehmungen und gegen unser beschränktes Vermögen zu empfinden, lässt sich Hilfe in einem ästhetischen Schatz finden.

Zugang gewinnt man zu ihm mit einer Spekulation über Teilung. Ist die Aufteilung der Welt in Gegensätze zwingend? (Gegensätze zwischen Ost und West, christlichen Regierungen und muslimischen, zwischen Sunniten und Schiiten). Ist das Denken in Gegensätzen urmenschlich oder ist es ein Produkt der Umstände, besonders des Monotheismus? Oder schlicht der Armut und der Verzweiflung?

Die moderne Physik (Lisa Randall), die sich anschickt, neue (verborgene) Dimensionen zu entdecken, kann hier Hinweise geben. Sie lehrt, dass ein Bombenanschlag, den NZZ Nr. 38 meldet, als ein Hinweis auf eine Dimension des menschlichen Miteinanders oder Gegeneinanders verstanden werden kann. Das ist ein Auftakt zu einer Wahrnehmungslehre, die selbst ein Schritt zu einer Handlungslehre ist. Entferntes wie die Meldung, dass ein Bombenanschlag im Südosten Irans am Mittwoch elf Personen das Leben gekostet hat, nehmen wir so nicht als etwas von uns Getrenntes wahr, sondern als Hinweis auf eine verborgene Dimension, die in unserer Welt wirkt und uns deshalb. Das ändert unsere Handlungen. Da gibt es mindestens zwei Strategien. Die Strategie der Abschottung: Wir erhöhen die Mauern um uns. Oder die Strategie der Öffnung: Wir werden durchlässig. Newman führt vor Augen, wie nah die Trennung von zwei Farben an der Durchdringung von zwei Farben liegt.

February 20th, 2007

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Bindungsängste

February 19th, 2007

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Von Bindungsängsten der Teilchen schreibt Randall ab s.158 in ‘Verborgene Universen’

February 19th, 2007

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Canto VII ?/07

February 19th, 2007

Hellblau kippt in Dunkelblau, Dunkelblau kippt in Hellblau. Hellblau scheint frottiert durch das Dunkelblau. Dunkelblau scheint durch Hellblau. Was vorne ist, kann nach hinten geraten. Was hinten ist, kann nach vorne geraten. Das Sehen kippt, schlägt um. Kentert es? Nein, aber das Sehen findet keinen Anhaltspunkt, keine Sicherheit. Es kann nicht angeben, wann es etwas begriffen hat. Das ist eine Einladung, über das Denken zu reflektieren. Das Denken so zu reflektieren, dass es sich als werdende Form versteht, als etwas, das sich in Auseinandersetzung findet, nicht in der Abkehr von der Welt zufrieden stellt. Es wird dann leider nicht zur Ruhe kommen. Warum sollte es auch?

Es ist doch eine Tätigkeit, die ausgeübt werden will, nicht etwas, das still abwartet. Aus dem östlichen Hintergrund auf die westliche Bühne der europäischen Medien traten Ende Januar chinesische Arbeiterinnen in Rumänien: “Rund 400 chinesische Textilarbeiterinnen der Wear Company sind in der Stadt Bacau, nordöstlich der rumänischen Hauptstadt Bukarest, in den Streik getreten. Es sind die ersten chinesischen Arbeiterinnen, die legal in Rumänien arbeiten. Dem Land fehlt es an Textilfacharbeitern, da viele in Westeuropa nach Arbeit suchen. Die Arbeiterinnen verlangen eine Verdoppelung ihrer Löhne von 350 US-Dollar im Monat (275 Euro) auf 700 US-Dollar und bessere Lebensbedingungen, da sie jeden Tag hungrig sind.”(Indy Media)

Die Nachricht kippt den Osten in den Westen. Der Westen kippt in östliche Verhältnisse. Die Meldung fordert uns heraus, etwas zur Kenntnis zu nehmen und zu empfinden. Der Hintergrund des chinesischen Wirtschaftsbooms gerät in einen zwielichtigen Vordergrund, der Europa östlich erscheinen lässt. Chinas unbarmherzige Arbeitsbedingungen zwingen einzelne Frauen, in Rumänien Arbeit zu suchen, in einem Rumänien, das in Europa nicht für seine Barmherzigkeit bekannt ist, das aber gleichwohl Teil der euopäischen Wertegemeinschaft sein möchte. Doch in Rumänien sind die Arbeitsbedingungen so katastrophal, dass die Arbeiterinnen aus China streiken. Rumänien, in dem dieser Streik sich vordergründig abspielte, gerät bei näherem Nachdenken in den Hintergrund. In den Vordergrund gerät Europa, ein Wirtschaftsraum, in dem mittlerweile wieder koloniale Arbeitsbedingungen herrschen, die man nach Asien ausgelagert zu haben meint.

Was ist jetzt Europa? Sein Bild changiert in der jetzigen Lage. Ich denke, dass wir dieses Bild mitgestalten sollten. Wir können Europa als Herausforderung, als Forderung nach menschenwürdigen Verhältnissen, definieren. Dieser Forderung Ausdruck zu verleihen, das ist eine Chance für das Denken. Das Denken kann dazu verschiedene Modi der Kunst aktivieren, die von den Avantgarden entwickelt worden sind.

Lässt sich mit der Forderung nach Würde ein changierendes Denken vereinbaren? Im 20. Jahrhundert kehrte etwas um. Man singt, malt, macht nun etwas, weil man etwas mittzuteilen hat. Oder hat man nun etwas mitzuteilen, weil man zu singen, zu malen, zu tun hat? Im 20. Jahrhundert beginnt Proust an einem Roman zu schreiben, weil er glaubt, einen Roman schreiben zu müssen. Die Sorge, diesen Roman schreiben zu können, strukturiert, rhythmisiert seine Darstellung. Die Darstellung gewinnt an Eigendynamik: der Inhalt des Darzustellenden wirkt demgegenüber peripher, unwichtig. Doch das ist eine Methode, Unwichtiges wichtig werden zu lassen. Es erinnert an eine Gewohnheit Wolfram von Eschenbachs, der an der Schwelle von einer mündlichen zu einer schriftlichen Gesellschaft über das Schreiben dichtete.

Proust schildert, dass er durch Telephon und Rohrpost anders zu fühlen beginnt. Nebensächliches wird zur Hauptsache und umgekehrt. Seine Aufmerksamkeit wirkt heute wegweisend. Sie übt Gemüter ein, instabile Verhältnisse wahrzunehmen und bewusst zu erleben. Proust bildet sich und seine Leser zu Empfindungskörpern aus. Empfindunskörper sind eine notwendige Bedingung für das Denken. Denken ist erst dann eine sinnvolle Tätigkeit, wenn es sich in Beziehung setzt zu möglichen Empfindungen. Das kann in aller Abstraktion geschehen, muss aber nicht. Kant schreibt so schön abstrakt, vielleicht, weil durch seine feinen Formulierungen, das Gefühl durchscheint, dass es schön wäre, wenn die Welt schön zu denken wäre. Newman malt abstrakt und konkret zugleich. Er führt dem Betrachter vor Augen, wie wenig sicher Wahrnehmungen sind, wenn man beginnt, sich auf die Wahrnehmungsmöglichkeiten von changierenden Vorder- und Hintergründen einzulassen.