Ad Cantos
Sunday, February 18th, 2007“Klar und süss ist meine Seele, und klar und süs ist alles, was nicht meine Seele ist”. Walt Whitman
“Klar und süss ist meine Seele, und klar und süs ist alles, was nicht meine Seele ist”. Walt Whitman
Derrida*spielt mit dem Unterschied zwischen dem Wort difference und dem Wort differance, das er selbst geschöpft hat. Differance-Bildung ist eine Reaktion auf die Unvereinbarkeiten unseres Denkens. Dass dieses Denken, dass die Kunst, die sich diesem Denken verwandt fühlt, dem Leben nicht den Rücken kehrt, sondern gerade in Differenz zum gewohnten Darstellen dem Leben, den noch nicht verstandenen Aspekten des Lebens, Referenz erweisen willen, das ist ein Anlass von einer Kunst der Referance zu sprechen:
Kunst der Referenz: Kunst, die sich auf andere Kunst bezieht
Kunst der Reverenz: Kunst, die dem Schaffen anderer Künstlerinnen und Künstler, Denkerinnen und Denker Reverenz, das heisst Achtung erweist
Kunst der Referance: Kunst, die der nicht-Darstellbarkeit, der prinzipiellen Diskrepanz zwischen Kunst, Leben und Denken, Reverenz/Achtung erweist.
Wieder Schwarz, wieder Weiss, wieder schwarz-rauchige Fäden auf einer weissen Fläche. Wiederholen wir das Spiel vom Vordergrund und Hintergrund? Oder gehen wir den Nuancen nach? Folgen jetzt nicht dem rotseidenen Segel, das sich auf den anderen Seiten der Drucke zeigt?
Newman fordert uns auf, Nuancen als Chancen zu begreifen. Er beginnt erst uns aufzufordern, da wir uns seinen Wahrnehmungsangeboten wiederholt widmen. Erst wenn wir beginnen, uns näher mit seinen Cantos zu beschäftigen, uns Zeit und Raum nehmen, seine Angebote wahrzunehmen, beginnt er uns aufzufordern. Geht man dieser Aufforderung nach, stolpert man über Unendlichkeit. In den Nuancen lassen sich weitere entdecken, vielleicht unendlich viele Nuancen. Schnell, zu schnell, vorschnell beginnt man, wenn man begonnen hat, sich Zeit zu nehmen, von Unendlichkeit zu sprechen.
Wer aber möchte Unendlichkeit? Möchte man nicht vielmehr klare Enden sehen, zum Beispiel das Ende des Tötens? NZZ Nr. 23 meldet, dass bei einem Granatenangriff auf eine Mädchenschule im Westen von Bagdad 5 Schülerinnen gestorben sind und 20 Menschen verletzt wurden. Wer will, dass diese Zahlen in das Unendliche fortschreiten?
Widmet man sich den einzelnen Zahlen, fragt sich was Tod von 5 Schülerinnen bedeutet, entfalten sich Nuancen: Waren es alle Schülerinnen der Schule oder waren es fünf aus einer grösseren Gruppe? Was für eine Schule ist dort getroffen worden? War es eine Schule, die mit Mitteln eines ehemaligen deutschen Soldaten gebaut worden ist, einem Mann, der mit seiner Familie seit Jahren Gelder für den Unterricht weiblicher Muslime sammelt, weil er überzeugt ist, dass auch Frauen Zugang zu Bildung haben müssen?
Wieviel Schülerinnen müssen nun mit dem Choc leben, dass sie beim Versuch, ein Grundrecht wahrzunehmen, getötet werden? Werden die Väter der gestorbenen Mädchen nun ihren anderen Töchtern den Gang in die Schule verbieten? Diesen Fragen kann man beharrlich nachgehen und ich denke, dass Newman solche Beharrlichkeit schult. Es ist die Beharrlichkeit der Geduld, einer Geduld, die sich nicht abfindet mit dem, was andere als Gegeben ansehen.
Eine weisse mit schwarzen Fadendampf durchkräuselte Fläche hebt sich am rechten Seitenrand vor einem schwarzen Hintergrund ab. Der weisse Vordergrund auf dem Hintergrund der schwarzen Bildfläche kippt um: Der weisse Vordergrund wird zum Hintergrund, vor dem sich rauchartig Schwarz entfaltet. In diesen schwarzen Rauchfäden nistet sich wiederum Weiss ein, das punktuell wieder in den Vordergrund gerät. In den Vordergrund der amerikanischen politischen Berichterstattung gerät derzeit die Frage, ob ein schwarzer Mann Präsident der Vereinigten Staaten werden kann. Dabei wird die Frage gestellt, ob der schwarze Mann überhaupt schwarz ist.
Fragen nach schwarzer und weisser Hautfarbe schwelen schon seit langem, schwelten schon im Mittelalter, als der Held Gachmuret die schöne schwarze König Belakane von Zazamanc verliess. Aus dieser Geschichte quellen Gestalten wie Feirefiz, Herzeloyde und Parcival hervor. Die Debatte über die Schwärze des farbigen möglichen Präsidentschaftskandidaten, drängt die Wahrnehmung von George Bush in den Hintergrund.
Die NZZ Nr. 20 erwähnt, dass er den Status einer lahmen Ente erreicht hat. Diese Erwähnung steht im merkwürdigen Verhältnis zu anderen Nachrichten über die Politik des George Bush, die gleichfalls gemeldet werden: Tote bei Kämpfen mit Amerikanern im Irak, die Freilassung Norriegas und verdeckte Einsätze der US-Armee in Afrika. Die Worte „lahme Ente“ ziehen die Aufmerksamkeit von der ausgeübten tatsächlichen Wirkund der Politik dieses Mannes ab, die in drei Kontinenten zugleich wirksam ist.
Es wäre vielleicht besser, vom Status einer sich unbewegt stellenden Krake zu sprechen, deren Kopf sich demütig und ruhig vor den Volksvertretern verhält, während seine Tentakel Gewalt in Gebieten ausüben, die Tausende von Kilometern entfernt liegen. Statt Metaphern mögen vielleicht mathematische Formeln besser die Unterschiede zwischen der Fernwirkung und der Nahwirkung in der Politik darstellen. Formeln signalisieren, dass etwas nicht prima vista zu begreifen ist, nicht in Metaphern aus vorindustriellen, prädigitalen Verhältnissen darstellbar ist. Metaphern wie diese beruhigen das Denken mit einem Muster, anstatt es zur Tätigkeit zu motivieren.
Obwohl sie nach einem einfachen Muster angefertigt zu sein scheinen, gelingt es den Cantos von Newman, dem Denken einfach Fragen zu stellen. Kompliziert stellt Ezra Pound hingegen Fragen in seinen Cantos. Newman möchte Pound aus guten Gründen nicht die Vorherrschaft über dieses wichtige Wort „canto“ lassen. Könnte das Wort „Lied” oder die Gedanken an die Farbflächen Newmans einem Menschen helfen, der mutlos und zerstört in einem Folterkeller sitzt, in einem Folterkeller, der eingerichtet worden ist, weil das opportun zur Politik von George Bush ist?
“Als ihre Zeit gekommen war, gebar die Herrscherin * einen zwiefarbenen Sohn, an dem Gott ein Wunder getan hatte; seine Haut war nämlich weiss und schwarz gescheckt. Die Königin bedeckte seine weissen Hautstellen mit Küssen. Feirefiz von Anjou nannte die Mutter das Kind und ihr Sohn wurde ein Waldvernichter; so viele Lanzen und Schilde durchstach er. Haar und Haut waren bei ihm weiss und schwarz gefleckt wie das Gefieder einer Elster”.* (more…)
Schwarz auf Schwarz, wirkt wie Blau auf Schwarz. Schwarz wird Blau. Blau wird Schwarz. Schwarz wird weiss? Nein, aber die Kontraste bleiben, die Relation der Unterscheidung bleibt. Das Unterscheidende hebt die Unterschiedlichkeiten des einen und des anderen vor. Unterschied ist als Beziehung denkbar, kann damit in eine Logik eingegliedert werden, wird zum Muster, verliert an Problematik. Dennoch verblüffen die Kippmomente in Newman`s Cantos. Die Stelle von Hellweiss nimmt ein leuchtendes Hellblau ein, dann ein Schwarz. An ihren Rändern lassen die Farbgrenzen Überschreitungen wahrnehmbar werden. Die Wahrnehmungen schwappen von einer Fläche zur anderen Fläche über.
Die unterschiedenen Farbflächen stehen in einem Wechselverhältnis, das sich vielleicht wahrnehmungsphysiologisch begreifen lässt, das sich aber nicht dem Willen des Betrachters beugt. Es beugt sich auch nicht die Ungerechtigkeit dem Willen derjenigen, die sie wahrnehmen wollen. Will man wahrnehmen, entzieht sich das, was aus der Welt berichtet wird, dem Verständnis. Es muss sich dem schnellen Verständnis entziehen, denn menschliches Leid ist etwas Ungeheures, etwas nicht Tolerierbares. Das heisst nicht, dass das Denken vor dem Ungeheuren kapituliert und sich senil damit abfindet. Nein. Doch viel zu leicht nehmen wir zur Kenntnis, nehmen die Unermesslichkeit der Grausamkeiten nicht wahr, nehmen noch nicht einmal wahr, dass disie unermesslich sind und damit geben wir dem Denken nicht die gebührliche Chance, sich damit zu beschäftigen. Es kann sich dann noch nicht einmal daran erproben. Die NZZ Nr. 19 berichtet vordergründig von der Auslieferung mexikanischer Verbrecher an die USA. Klar konturiert erscheinen zwei Schraffuren:
– Osiel Cardenas Guillén, Chef des Kartells des Golfs von Mexiko, sitzt seit 2003 in einem Hochsicherheitsgefängis und scheint von dort sein Imperium dank Kurieren und Handys unbehindert weiter verwaltet zu haben.
– Im vergangenen September unterbrachen Männer in Militäruniformen eine nächtliche Party und warfen blu..ge K…e von Ent…..eten auf die Tanzfläche.
Diese Schraffuren heben sich ab vor einem ungeschilderten Hintergrund, den wir noch nicht einmal wahrnehmen, nicht einmal sehen, dass dieses Schwarz oder dieses Hellblau oder dieses Hellweiss sich erheben vor einem anderem Schwarz, vor einem noch anderen Schwarz oder vor einem Beigeweiss. Wendungen wie “unbehindert” oder “unterbrachen” sind Hinweise, dass die Schraffuren in einen Kontext eingebunden sind, der uns jedoch entgeht, wenn wir nur die Ungeheuerlichkeit zur Kenntnis nehmen. Die nehmen wir auf dem Hintergrund unseres Interesses an Neuigkeiten, nur vor dem Hintergrund unserer Gewohnheit wahr. Ungewohnt wird der europäische Hintergrund des Empfindens, wenn er sich an die Schwellenzeit des Mittelalters erinnert, da Araber und Christen im Mittelmeerraum sich kämpfend begegneten und Geschichten daraus gesponnen wurden. Gesponnen wurde dabei auch die Geburt des Feirefiz von Anjou.
Die porösen Grenzen von Kontrasten interessieren. Hier wechselt der Vordergrund in den Hintergrund. Hier entwickeln sich Bewegungen, die Denkfiguren ermöglichen. Der Fall von Mahar Arar (NZZ Nr.28)ist umgeben von einem schweigsamen Dunkel. Sein Fall erhellt das umgebende Dunkel. Sein Fall ist zugleich dunkel. Der Alptraum begann im September 2002, als er während einer Zwischenlandung in New York verhaftet und trotz Pochen auf seine kanadische Staatsbürgerschaft in sein Geburtsland Syrien verfrachtet wurde, wo man ihn fast ein Jahr lang festhielt und folterte. Nach seiner Freilassung, die er dem von seiner Frau mobilisierten Druck der Medien und politischen Instanzen verdankt, begann sein langer Kampf um die Rehabilitierung. Der kanadische Staat sprach ihm dieses Jahr eine Entschädigung von 11, 5 Millionen Dollar. An diesem Bericht nehme ich das Wort “folterte” als Pore wahr. Sie weitet sich über meine Vorstellungskraft hinaus: Schreie, Hoffnungslosigkeit, Entsetzen, Entsetzen, Entsetzen breiten sich in meinem Bewusstsein aus. Das Gefühl von Ohnmacht ist unvorstellbar, man möchte nicht begreifen, dass dies jedem widerfahren kann. Die andere Pore, die ich wahrnehme, setzt sich aus den Worten “dem von seiner Frau mobilisierten Druck der Medien und politischen Instanzen” zusammen. Ihnen muss ich künstlich Raum geben, sonst ist sie schnell in ein Muster verschlossen, das nichts mehr vermittelt, weil es zu schnell abgespeichert wird. Doch gilt es auch dies geeignet wahrzunehmen und sich die Kaskaden von Anrufen vorzustellen, das Bangen auf Rückrufe, die emails, die ausbleibenden Antworten, dann der kaum zu glaubende Durchbruch, der wieder enttäuscht wird, weil Medienvertreter und Politiker etwas versprechen, was sie nicht halten können. Beide Poren sind wahrnehmbar, können zu Vorstellungen führen. Die meisten Poren bleiben den Wahrnehmungen verborgen. Newman`s Farbflächen schulen den Blick für Übergänge, die Lithographien der Cantos schulen den Blick für Unebenheiten bei den Grenzverläufen.
Hellblau strahlt ein Balken auf schwarzem Grund. (more…)
Hellweiss wird zwischen beigeweissen Flächen zu einer strahlenden Quelle, engelgleich wirkt diese Fläche auf ihre dunklere, schmutzigere Umgebung. Engel benötigen den Schmutz ihrer Umgebung. Sie strahlen weniger, wenn die Umgebung selbst engelhaft ist. Mich interessieren die Ränder zwischen dem hellen Weiss und den beigeweissen Flächen. Hier ist eine Zone der Überlagerung, in der hell mal stark scheint, mal überschattet wird.
Diese miteinander streitenden Farbtönungen bieten einen Ansatz, Ausbreitung und Verknüpfung zu denken. Lassen wir die Metaphorik von strahlend und schmutzig beiseite. Denken wir zum Beispiel an eine Zeitungsnotiz, die meldet, dass koreanische Kinder auf japanischen Strassen von Japanern mit Skalpellen verletzt werden. Diese Notiz überlagert die gewohnte Wahrnehmung vom technologisch bestimmten Staat Japan, dessen Mitgliedern man technologische Handlungsformen unterstellt, also auch einsehbares, regelgeleitetes Handeln. Dieser Begriff der Regel erhält durch die Notiz einen dunkle Färbung. Die dunkle Färbung breitet sich aus und verändert die Wahrnehmung des Landes mit strahlend roten Sonnenball auf weissem Grund.
Auch zur anderen Seite breitet sich ausgehend von dieser Mitteilung ein Gedanke aus. Er rührt an mögliche Ursachen eines solch perfide handelnden Nationalismus. Die Frage dringt vor, bleibt dann stecken in dem Gefühl, dass man mehr wissen möchte, mehr recherchieren müsste, bevor man weiter schreibt. Man hofft, eine Erklärung zu finden für solche Untaten. Doch dann schlägt diese Bewegung um, bewegt sich zurück zur Nachricht und die Frage entwickelt sich, ob und wie Liebe solche Taten vermeiden und ihre Auswirkungen verhindern helfen kann. Das ist eine Situation, in der die Wohlwollensbombe von Otto Rössler gezündet werden kann. Das gelingt vielleicht mit Hilfe anderer Malerei als der Barnett Newmans?