Archive for February, 2007
Thursday, February 22nd, 2007
Ein australisches Fischerpaar hat es unverhofft zu Reichtum gebracht – durch das Erbrochene eines Pottwals. Dabei handelte es sich um den äußerst seltenen Parfümgrundstoff Ambra. Der Fund besitzt demnach einen Wert von mehr als 240.000 Euro
Canto X ?/07
Thursday, February 22nd, 2007Was kann nach dem Schwarz noch kommen?
Gelbschmutzig ist der Tag danach, der Tag nach der langen Nacht auf dem Polarmeer, der Tag nach der totalen Sonnenfinsternis, der völkervernichtenden Dunkelheit. Butterfett orange, gesättigt triumphierend, tritt eine Farbfläche im 10. Gesang auf. Das Schwarz ist überwunden, die Nacht ist überwunden, die Polarfahrt des Menschen hat scheinbar ein Ende gefunden. Die Sonne ist zurückgekehrt. Aber wie sieht sie nun aus?
Fett, gesättigt, als habe sie alles verschlungen, die Finsternis und das Gros der Menschheit. Es bleiben Flüchtlinge, die unter der bleiernen Sonne zu überleben versuchen. Die Sonne wird lange so bleiben. Newman, der Sänger, will es so. Er mutet uns den Anblick der gesättigten Farbe zu und er weist uns darauf hin, dass diese Sättigung alles durchdringt, Felder, Boden, Städte sowieso. Newman stellt dem Gelb der linken Bildhälfte seines 10. Gesangs ein Dunkelgrün zur Seite, unter dem das quälende, trimphierende Gelb hervor scheint.
Das Gelb der Wüste frisst sich durch das Grün der rechten Bildhälfte hindurch. Fressen sich mit dieser Beharrlichkeit auch die Zahlen hinein in unser Gemüt? Ist unser Gemüt verfault? Verfault das Grün unserer Empfindung? Breitet sich unter ihm der sengende Wüstensand aus? Wir nehmen es zur Kenntnis und nehmen es doch nicht zur Kenntnis.
Die wachsenden Zahlen der täglich gemeldeten Toten, ihr Wachstumsgesetz ist schwieriger zu bestimmen als die Progression der Primzahlen. Vielleicht kann ein Statistiker voraussagen, wie die Zahlen der gemeldeten Toten sich täglich ändern. Sicher wissen wir, dass die Zahl der Toten wachsen wird. Die Gründe dafür sind vielfältig, vermutlich auf Armut und Perspektivlosigkeit zurückzuführen. Dabei schlägt das Verbrechen Capriolen, die schwer zu berechnen sind.
NZZ Nr. 32 berichtet zum Beispiel eine verbrecherische Pirouette aus dem mexikanischen Badeort Acapulco: Bei Überfällen auf zwei Polizeiwachen sind sieben Personen erschossen worden. Die Bande der Mordenden täuschte vor, die Waffen der Polizisten überprüfen zu wollen. Die Bande trat in militärischer Kleidung auf und gab an, einen Film über die Arbeit der Polizei drehen zu wollen. In der ersten Wache wurden drei Polizisten getötet, in der zweiten zwei weitere, eine Sekretärin sowie ein Staatsanwalt.
Die Zahl der Morde und die Zahl der Hungernden korrodieren die Voraussetzungen unseres Lebens (das Grün, mit dem wir rechnen, von dem wir glauben, dass es uns erhalten wird).Und diese Korrosionen sind vermutlich nicht berechenbar. Leibniz war noch überzeugt, dass alles sorgfältig berechnet worden ist. Der Schöpfer habe alles vorhergesehen, wir wissen nur zu wenig, um diese Vorhersage nachvollziehen zu können. Newman ist auch ein Schöpfer, ein Schöpfer, der uns an unser Unvermögen erinnert, die Welt wahrzunehmen. Er singt. Traurig ist sein Gesang. Der 10. Canto ist besonders traurig. Es herrscht Therastimmung.
Canto IX ?/07
Wednesday, February 21st, 2007Voilà, nun erneut Schwarz, ein schwarzer Balken dominiert die Wahrnehmung. Er steht links, am Anfang, dort, wo wir zu lesen beginnen. Es ist das Schwarz des Anfangs. Ist es das Schwarz des Anfangs? Oder ist es das Schwarz, das auf uns zukommen wird, wenn wir so weiter schreiben? Wenn wir die Welt mit den schwarzen Zeichen bedeckt haben? Zweierlei Schwarz: Das Schwarz des Dunkels, das die Mythologien an den Beginn der Schöpfung stellen; das Schwarz der Schrift, mit dem die Menschen die Natur überschreiben. Schwarz am Ende und Schwarz am Anfang. Hier steht es am Beginn der Lesebewegung. Der Blick zieht es mit, es wirft seinen Schatten auf das Aralblau, das vier Fünftel des Blatts bedeckt.
Apropos Fünftel. Wir befinden uns jetzt in der Hälfte von Newman`s Cantos. Es ist das neunte Blatt. Es werden noch weitere Blätter folgen. Die Numerierungen der Blätter schreiten fort wie das Schwarz, wie eine Walze, die einmal in Bewegung gesetzt, nicht mehr zu stoppen ist, so bewegen sich die Zahlen: Canto I, Canto II, Canto III, Canto IV… Doch die Bewegung wird abbrechen, sie wird nach neun weiteren Blättern abbrechen. Wird sie abbrechen? Die Bewegung der Zahlen hat eine Bewegung der Farben und Flächen in Gang gesetzt, die kein Ende finden muss, aber kann. So verstehe ich das Fünftel schwarzer Fläche am linken Bildrand. Es lässt die Möglichkeit weiterer Farbwechsel erstrahlen. Es ist als Anfang und Ende, Anfang der natürlichen Schöpfung und Ende der menschlichen Schöpfung konzipierbar.
Der Migrant Jabès spricht vom Schwarz der Buchstaben und dem Weiss der Seite. Das Weiss ist die Wüste, das Schwarz ist die Zeichenwüste, die dem Menschen mit der Schöpfung übergeben wurde. Der Migrant wandert von Wüste zu Wüste, zwischen der Wüste der versengenden Sonne, dem Hunger und dem Durst und der Wüste des Verlangens der Buchstaben, die Sehnsucht nach dem, was die Zeichen bedeuten, weckt. Das kann eine Sehnsucht nach der Quelle der Welt und eine Sehnsucht nach der Quelle der Urheber der Zeichen sein. Vielleicht haben Welt und Zeichen gemeinsame Urheber?
Kann es sein, dass die Schöpfung vorhergesehen hat, was der Mensch mit ihr alles anstellen wird? Dass der Mensch schreiben wird, dass er andere Menschen erschlagen, chikanieren, quälen und foltern wird, dass er auch die Natur chikanieren wird? Hat das die Schöpfung vorhergesehen, als sie die Welt aus dem Dunkel treten liess?
Dem Schwarz kann man alles zumuten. Vielleicht hat Newman es deshalb am linken Rand in der Hälfte der Cantos platziert. Es ist ein Angebot abzulegen, abzuwerfen. Es ist eine Ablage, auf der die Mühe des Vorherigen platziert werden kann. Es kann den Ekel, das Unwürdige, den Schrott, das Scheitern aufnehmen. Es ist ein Abgrund. Dieser Abgrund entlastet. Zugleich kann es immer wieder auftauchen. Es taucht bei Newman immer wieder auf, damit taucht auch alles Abgelagerte wieder auf, das von Menschen Geschaffene, die verursachte Trauer, aber auch die Hoffnung, allerdings weiss man nicht welche Hoffnung:
NZZ Nr. 38
NZZ Nr. 23
NZZ Nr. 20
NZZ Nr. 19
NZZ Nr. 28
NZZ Nr. 18? (more…)
Canto VIII ?/07
Tuesday, February 20th, 2007Die Teilung steht. Sie stellt fest. Sie entscheidet, was links und was rechts ist. Links und Rechts, das sind zwei Welten, die sich auf einem schmalen Grat berühren: Rechts-Links, West-Ost, Nord-Süd, Reich-Arm, Gläubig-Ungläubig,Verlierer-Gewinner, diese Gegensätze berühren sich, berühren sie sich?
Die Welt ist geteilt. Barnett Newman hält es so fest. Er teilt eine Bildfläche in zwei gleiche Hälften, so als gebe es eine gerechte Aufteilung einer Fläche. Zugleich schafft er Ungleichgewichte. Die Farbe der einen Seite drängt sich hintergründig auf, scheint hinter der Farbe auf der anderen Seite auf und umgekehrt. Die Farben lassen eine solche strikte Trennung nicht zu, sie gewinnen wechselseitig im Kontrast. Barnett Newman legt es darauf an, dass sie sich unvorhersehbar vom Hintergrund in den Vordergrund spielen. Einmischen, aber nicht Durchmischen oder Aufmischen, so stelle ich mir auch ästhetische Strategien vor, die sich mit den bestehenden Ungerechtigkeiten nicht zufrieden geben. Gegen die Ungerechtigkeit unserer Wahrnehmungen und gegen unser beschränktes Vermögen zu empfinden, lässt sich Hilfe in einem ästhetischen Schatz finden.
Zugang gewinnt man zu ihm mit einer Spekulation über Teilung. Ist die Aufteilung der Welt in Gegensätze zwingend? (Gegensätze zwischen Ost und West, christlichen Regierungen und muslimischen, zwischen Sunniten und Schiiten). Ist das Denken in Gegensätzen urmenschlich oder ist es ein Produkt der Umstände, besonders des Monotheismus? Oder schlicht der Armut und der Verzweiflung?
Die moderne Physik (Lisa Randall), die sich anschickt, neue (verborgene) Dimensionen zu entdecken, kann hier Hinweise geben. Sie lehrt, dass ein Bombenanschlag, den NZZ Nr. 38 meldet, als ein Hinweis auf eine Dimension des menschlichen Miteinanders oder Gegeneinanders verstanden werden kann. Das ist ein Auftakt zu einer Wahrnehmungslehre, die selbst ein Schritt zu einer Handlungslehre ist. Entferntes wie die Meldung, dass ein Bombenanschlag im Südosten Irans am Mittwoch elf Personen das Leben gekostet hat, nehmen wir so nicht als etwas von uns Getrenntes wahr, sondern als Hinweis auf eine verborgene Dimension, die in unserer Welt wirkt und uns deshalb. Das ändert unsere Handlungen. Da gibt es mindestens zwei Strategien. Die Strategie der Abschottung: Wir erhöhen die Mauern um uns. Oder die Strategie der Öffnung: Wir werden durchlässig. Newman führt vor Augen, wie nah die Trennung von zwei Farben an der Durchdringung von zwei Farben liegt.