Unbegreiflichkeiten

„Die `Unbegreiflichkeiten der Mathematik` ist eine Redewendung aus dem siebzehnten Jahrhundert, in der sich die Verwunderung über die Möglichkeit, mit unendlich kleinen Grössen zu rechnen, ausdrückt. Diese Verwunderung ist Indiz eines ontologischen Wandels. Unter Ontologie versteht der Leibnizinaer Christian Wolff die Wissenschaft vom Seienden im allgemeinen bzw. sofern es Seiendes ist. Was seiend ist und was nicht, das kann angesichts der “amphibischen” Natur kleinster Grössen nicht sicher bestimmt werden. Diese Unsicherheit gilt nicht nur für die kleinsten Grössen, sie betrifft auch das Wesen Gottes… Der Begriff des Kontinuums ist problematisch, weil er suggeriert, dass die reellen Zahlen, z.B. die auf dem Zahlenstrahl zwischen 1 und 2 liegen, so lückenlos zusammenliegen wie ein Gegenstand in der körperlich erfahrbaren Realität. Ein Stock und ein Tisch sind stetig gegebene Objekte. Man muss Gewalt anwenden, um Lücken in ihrer steten Gegebenheit zu erzeugen. Es sind die seit der Antike bekannten Argumentationen Zenons, die den Unterschied zwischen einer tatsächlichen Teilung eines Gegenstandes, z.B. der Spaltung eines Stocks mit Hilfe einer Axt, und der in Gedanken durchgeführten Teilung paradoxal einsetzen… Wo verläuft die Grenze zwischen Einteilungen, die an einem Tisch mit Handwerkszeug vorgenommen werden können, und beispielsweise Meilensteinen und Wegweisern, die einen Fussweg unterteilen und dann Einteilungen, die gedanklich vorgenommen werden und aus einer Anzahl von Punkten einzelne als Markierungen hervorhebt, zwischen denen sich die anderen Punkte zu einem Abschnitt zusammenfügen?”*


* Röller, Nils: Medientheorie im epistemischen Übergang. Weimar 2002, S. 79f.

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