VII Anzahl
Neugebauer: “Wenn man auch schon aus den eben gestreiften Beispielen erkennen kann, wie sehr ein `Zahlensystem´ historisch bedingt ist, so wird dies erst recht deutlich, wenn man die Zahlbezeichnungen der `Primitiven´ betrachtet. Es zeigt sich da ganz deutlich, wie `anschauungsgebunden´ der Zahlbegriff ursprünglich ist. So gibt es beispielsweise Sprachen, in denen a Gegenstände der einen Art anders bezeichnet werden als a Gegenstände der anderen Art (“ Zählklassen”). Man ist hier also noch nicht so weit gelangt, einen allgemeinen Anzahlbegriff aus dem Abzählen verschiedener Mengen zu abstrahieren. Der Ausbildung einer `systematischen´ Zahlbezeichnung, wie der ägyptischen, mit ihren gleichartig wiederholten Einermarken, dann ebenso wiederholten Zehnerzeichen und konsequenter additiver Verknüpfung geht also noch eine ‚unsystematisch’ verfahrende Stufe voran. Die Erforschung der Primitivenkulturen liefert aber nicht nur Beispiele ‚unsystematischer’ Zahlbezeichnungen, sondern sie führt uns auch noch die Entstehung der ‚systematische’Methode vor Augen durch den Übergang zu Kerbmarken, durch das Einschalten der Anzahlen von ‚Händen’ wenn je fünf Einheiten beisammen sind, usw…. Auch der Mathematiker, der sich mit den philosophischen Grundlagen seiner Wissenschaft beschäftigt, darf an diesen Erfahrungstatsachen nicht vorübergehen und sie durch reine Spekulation ersetzen.” Neugebauer, Otto: “Über vorgriechische Mathematik”. In: Hamburger Mathematische Einzelschriften 8. Heft 1929. Leipzig: Teubner, 1929 (Vermutlich auch zitiert als Abhandlungen des Mathematischen Seminars der Universität Hamburg)