Nichts – Etwas
Der Tod,
ist nicht Nichts, sondern Etwas. Er geht jeden an, besonders die Philosophie, die sich mit dem Leben auseinandersetzen möchte.
Kontext: Massimo Cacciari: Icone della Legge, Franz Rosenzweig: Stern der Erlösung und:
28. Juli 2008, 17:16 – Von Pierfrancesco Basile
Die Philosophie muss literarisch werden
Welche Zukunft hat die Philosophie? Um diese Frage geht es in einer Sammlung von Aufsätzen des viel diskutierten amerikanischen Denkers Richard Rorty.
Wer «Kulturpolitik» im Sinne des 2007 verstorbenen Philosophen Richard Rorty betreibt, der stellt sich die Frage, wie über was gesprochen werden soll: Soll man das Wort «Nigger» gebrauchen, oder soll es aus unserem Vokabular ausgeschlossen werden? Soll man weiterhin die Unterschiede zwischen «Weissen» und «Schwarzen» thematisieren, oder wäre es besser, darüber gar nicht zu reden? Bei solchen Überlegungen geht es nicht darum, die Wirklichkeit abzubilden, sondern darum, unsere Sprachgebräuche und Diskussionsbereiche umzugestalten.
Gesellschaftlicher Fortschritt ist hier wichtiger als Wahrheit. Und das soll, so argumentiert Richard Rorty in seiner posthum erschienenen Aufsatzsammlung «Philosophie als Kulturpolitik», auch für Philosophen gelten. Mit diesem Vorschlag distanziert er sich von einer für die westliche Philosophie prägenden Idee. Spätestens seit Platon beruht das philosophische Selbstverständnis auf der Vorstellung, dass es verborgene Strukturen der Realität gebe. So spekulierte Platon, dass die Menschen wie in einer Höhle leben würden; nur dem Philosophen gelinge es, sich aus seiner Gefangenschaft in der Schattenwelt zu befreien und den Blick auf die äussere, auf die echte Welt zu richten.
Bilder können das Denken gefangen halten, wie einer der von Rorty am meisten zitierten Philosophen, Ludwig Wittgenstein, auf eindrucksvolle Weise gezeigt hat. Und in der Tat kann man sich fragen, ob man einem solchen Bild des philosophischen Tuns zustimmen sollte. Was ist, wenn es keine äussere Welt ausserhalb der platonischen Höhle gäbe? Was, wenn es keine transzendenten Anhaltspunkte gibt – keinen Gott also oder keine absolute Wahrheit , sondern nur die Gesellschaft, in der wir leben?
Wie in den meisten von Rortys Schriften geht es ihm auch hier darum, sich von tradierten Vorstellungen zu verabschieden. Der Philosoph erzählt, wie er als junger Student von Platons Traum ergriffen wurde. Der Wunsch, die Welt objektiv zu erfassen – sie aus einer Perspektive ausserhalb des Hier und Jetzt zu durchschauen, entpuppte sich aber bald als elitäre Illusion. «We are children of our time and place», so meint er jetzt, in Anlehnung an einen der Grundväter der amerikanischen Philosophie, den Pragmatisten John Dewey.
Keine strenge Wissenschaft
Diese Einsicht hat Rorty immer wieder zu radikalen Neuinterpretationen der Geschichte der Philosophie motiviert. So kritisierte er in seinem bedeutendsten Werk «Der Spiegel der Natur» die neuzeitliche Idee, dass die Seele eine Art Spiegel sei und dass die Philosophie entweder die Wirklichkeit exakt abbilden oder die Wissensansprüche der anderen Disziplinen beurteilen müsse – eine Auffassung, die am klarsten im Kantschen Bild eines «Gerichts der Vernunft» zum Ausdruck kommt.
Eine Philosophie, die sich von dieser Spiegel-Metaphorik leiten lässt, so wie es für Rorty im 20. Jahrhundert die Phänomenologie Husserls und die analytische Philosophie getan haben, ist zum Scheitern verurteilt. Das Problem ist nicht nur, dass keine Philosophie sich je als «strenge» Wissenschaft etablieren konnte. Viel wichtiger ist, dass Philosophien, die sich als wissenschaftlich begreifen, rasch scholastische Züge entwickeln und dazu neigen, sich vom Rest der Kultur zu isolieren. «Die Philosophie ist ein beinahe unsichtbarer Teil des heutigen Geisteslebens», bemerkt Rorty trocken in einem der Essays in diesem Sammelband.
Wenn die Philosophie ihre Stimme im Gespräch der Menschheit wiedergewinnen will – so lautet Rortys kulturpolitischer Vorschlag, müsste sie sich als imaginatives, quasi literarisches Unterfangen begreifen. Ihr Wert würde darin liegen, dass sie neue Möglichkeiten anbietet, über «unsere Hoffnungen und Ängste, unsere Bestrebungen und unsere Aussichten zu reden». Man sollte auch lernen, die philosophische Tradition in diesem Geist zu betrachten. Rorty zitiert Kierkegaards pointierte Bemerkung, dass Hegel einer der grössten Denker gewesen wäre, wenn er am Ende seiner Bücher geschrieben hätte, «dies war alles bloss ein Gedankenexperiment». Da er es aber nicht tat, «war er nur ein Hanswurst».
Rortys treffende Diagnosen zur gegenwärtigen Philosophie sind nicht zu unterschätzen. Am Ende der Lektüre bleibt allerdings die Frage, ob die Verwerfung des traditionellen Begriffs der Wahrheit nicht ein zu hoher Preis für ihre Rehabilitierung sei.
Richard Rorty: Philosophie als Kulturpolitik. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008. 357 S., ca. 49 Fr.