Editorial

Journal für Kunst, Sex und Mathematik?

Ein Versuch mit Kulturtechniken und ihren Exzessen so umzugehen, sie so aneinander zu reiben, dass ein neues Bewusstsein entsteht, ein weltbürgerliches Bewusstsein @, Bewusstsein von der möglichen Durchlässigkeit des europäischen Denkens gegenüber anderen Formen des Denkens, Fühlens und Handelns:

Bewusstsein, das wie ein Floss durch die Krisen und reissenden Ströme driftet, die durch Klimawandel, technologische Kluften, Überbevölkerung, Gier und Armut gebildet werden. Dieses Bewusstsein driftet, lernt die Strömungen kennen und erfährt, dass es überleben kann, wenn es sich den Bewegungen der Welt nicht widersetzt, sondern sie beobachtet und ihnen gemäss zu leben versucht, nicht versucht, sich die Welt zu unterwerfen, sondern sich der Welt anschmiegt.

Wo bleibt dann die Macht der Idee? Vielleicht werden Ideen in der Drift völlig absurd. Das Bewusstsein ist dann eigentlich nicht existent, es versucht, sich über Wasser zu halten, nicht vom Floss gespült zu werden. Dem stehen Behauptungen, Hoffnungen und Wünsche entgegen, dass der Mensch mehr ist als ein Bündel von Reaktionen. N. geht z.B. davon aus, dass der Mensch jederzeit ein “übersinnliches Wesen seyn” * kann, das heisst ein Wesen, das nicht nur reagiert, sondern reflektiert und sich z.B. ein Reich der Ideen vorstellen kann, in ihm leben will.

Insofern stellt die Drift an das europäische Denken die besondere Herausforderung: An die Möglichkeit von Ideen zu glauben, auch wenn sie nichts zu nützen scheinen im Überlebenskampf. Unter Idee darf hier nicht so etwas Primitives verstanden werden wie die Einbildung der eigenen Überlegenheit, also irgendein rassistischer Unsinn, sondern vielleicht nicht viel mehr oder weniger als der Gedanke, dass der Mensch mehr ist als ein lebenswütiges sinnliches Wesen, das mit anderen um sein Weiterleben kämpft.

Diese Idee lässt sich gestalten, zum Beispiel zu einer Vorstellung von einem Weltbürgertum, in dem jeder nur das von anderen verlangt, was er auch von sich selbst verlangt. Von diesem Weltbürgertum ist das europäische Denken, Fühlen und Handeln noch weit entfernt. Es setzt derzeit noch immer voraus, dass es anderen schlecht gehen darf, während es ihm selbst gut gehen kann.

@ Bewusstsein von den Möglichkeiten der Pilze, Nullen und Differenzen der Geschlechter

* Novalis Schriften, 2. Bd. Stuttgart: Kohlhammer, 1981, S.421.

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