Aus der Seele schöpfen

 

Wenn wir aus der Seele schöpfen, ihr zum Beispiel etwas Gesehenes wie ein Haus oder die Kontur eines Kontinents entnehmen, trennen wir dann etwas von der Seele? Ist das Getrennte vergleichbar mit dem Wasser, das mit einem Schöpflöffel aus einem Behälter entnommen wird? Schöpfen wir aus der Seele, indem wir kantig trennen, scharf abschneiden?
Wer kann schon scharf abschneiden, wenn er schöpft?
Die Küsten der Kontinente sind vermeintlich scharf konturiert. Will man sie messen, dann führt das zu unendlich vielen Unterscheidungen. Es wird geschieden, aber bei dieser Scheidung entstehen Kaskaden von Unterscheidungen, die den Kopf verwirren.

Aus der Seele schöpfen, heisst dann: Unterscheidungen zu treffen, kontinuierlich zu unterscheiden, so dass man die Seele nicht länger als Behälter begreifen kann, aus dem etwas geschöpft wird, sondern als unterscheidenden Prozess. Diese Konzeption der Seele mag von unserem Sprachbau bestimmt sein, der auf Unterscheidungen zwischen Gegenstand und Tätigkeit beruht. Die chinesische Sprache, Ernest Fenollosa argumentiert so,* trifft diese Unterscheidungen nicht. Eine Kultur, die Pilze als Orientierungsform benutzen, wohl auch nicht, sie muss den Schleim höher bewerten als die Unterscheidung.

* Fenollosa, Ernest: „Das chinesische Schriftzeichen als Organ für die Dichtung“ [The chinese character as a Medium for Poetry, ed. Ezra Pound 1936] Vor 1908, hrsg. Von E. Pound 1918]. In: Fenollosa, Ernest; Pound, Ezra; Eisenstein, Serge: No – Vom Genius Japans. Zürich 1963: Die Arche. Englisch: Fenollosa, Ernest: The chinese character as a Medium for Poetry. In: Pound Ezra: Instigations of Ezra Pound, together witan an essay on the Chinese written character by Ernest Fenollosa. New York 1920: Boni and Liveright.

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