documenta XII, denn „es geht ja nicht um guten Willen“

schreibt Documenta-Chef Buergel in der Faz (Nr.93). Stattdessen geht es, um „Kommunikation der Formen als ein Mittel der Selbsterkenntnis“. Das klingt klug, während guter Wille einfach klingt. Lassen wir ihn deshalb zuhause, den guten Willen? Das ist wohl das Beste, wenn man auf der documentat nicht unangenehm auffallen möchte.

Ist aber schade, denn der gute Willen wird auch „schlechthin guter Willen“ genannt. Und das ist doch recht schwierig, dass das Wort „schlechthin“ benutzt werden muss, um guten Willen zu beschreiben. Ist schlechthin guter Wille dasselbe wie ein guthin schlechter Wille?

Wir kommen da an etwas heran. Der Wille ist ambivalent. Er kann sich zum Guten wenden und er kann sich zum Schlechten wenden. Schlecht ist, was gerade in der Welt passiert, zum Beispiel, dass wir die Ressourcen kommender Generationen verspielen, Ungerechtigkeiten verschärfen und uns blindlings Regierungsmächten unterwerfen. Zu anderen Zeiten war anderes schlecht. Die Welt war wohl nie schlechthin gut, zu mindestens nicht mehr, seitdem der Mensch erschienen ist oder seitdem Schöpfung notwendig wurde.

Die Frage stellt sich, ob Kunst heute auf guten Willen verzichten kann? Er klingt ja unsexy, sehr nach Kirche und wenig nach Sportwagen, Designerklamotten und Pressetermin. Vielleicht ist es gut, dem guten Willen offiziell eine Abfuhr zu erteilen und inoffiziell an ihn zu glauben.

Gründe an ihn zu glauben, gibt es wenige. Einer davon ist Freiheit. Sie ist nicht denkbar ohne guten Willen und ohne Vernunft. Allerdings ist die Existenz von Freiheit, gutem Willen und Vernunft nicht vernünftig ableitbar. Alle drei sind Glaubenssache (Glauben an die Notwendigkeit der intelligiblen Welt) und damit eine Frage des Standpunkts und nicht der Erfahrung. Das betrifft die heutigen Voraussetzungen.

Die Entscheidung des Documenta-Chefs, einen Beitrag zur Integration (Migration der Form) oder zur Minderung der Klimakatastrophe zu liefern, setzt Freiheit voraus. Sie setzt jedenfalls im Kontext der Kunst Freiheit voraus, wo es wohl nicht um schlichte „Ich-Mach-Mit!“-Aktionen der Massenmedien geht.

Entscheidung setzt Freiheit voraus: Freiheit zur ästhetischen Erfahrung, die ein Heraustreten aus den Rastern und Mustern der alltäglichen Erfahrungen, der Bewusstseinssteuerung sein muss. Bewusst, Erfahrungen einzugehen, sie aufzusuchen, das ist ein Gestus der Mündigkeit (auch Händigkeit oder Beinigkeit). Diese Gesten haben etwas Ambivalentes. Sie machen sich frei von etwas Bestehendem, um sich etwas Neuem unterzuordnen. Selbstbestimmt sucht man nach Formen der Bestimmung. Das ist die Bestimmung, sich neue Erfahrung zuzumuten. Das ist im Falle der Kunst auch die Entscheidung, anderen diese Erfahrung zuzumuten: „Es geht um den einerseits vermittelten, anderseits vermittelnden Charakter menschlicher Subjektivität“ in dieser Documenta schreibt Buergel. Das ist angenehm gutwillig gedacht.

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