Canto XVI ?/07

Die Gewalt drängt, sie erreicht uns täglich in den Zeitungen und Fernsehnachrichten. Zeitweilig erschüttert sie uns, meistens irritiert sie uns, überwiegend nehmen wir ihr Referat achselzuckend zur Kenntnis. Beschäftigen wir uns mit einzelnen Meldungen wie zum Beispiel in Nr. 40, dann investieren wir Zeit, die uns für die alltäglichen Geschäfte fehlt. Wir spüren, dass wir den Boden unter den Füssen verlieren, wenn wir den Nachrichten folgen. Sie sprechen eine klare Botschaft. Es kann nicht so weiter gehen; dennoch wollen wir, dass es weitergeht und vertagen unsere Beschäftigung mit den Botschaften und den Konsequenzen für unser Leben.

Wir trennen ab, teilen auf, orden zu. Ein Teil unserer Zeit gehört den Nachrichten, ein anderer Teil unseren Aufgaben, ein weiterer Teil unserer Entwicklung. Newman stört diese Aufteilung. Ihn stört, dass Kritiker die Gliederung seiner Gemälde und Lithographien in unterschiedliche Farbflächen als Aufteilung, als Trennung, begreifen. Den weissen Streifen, den er auf den Lithostein klebt, um beim Druck ein weisses Band (Zip) zu erzeugen, sah er nicht als Trennmittel, nicht als Mittel, das eine Fläche in drei Flächen teilt, sondern als Mittel um „Onement“ zu realisieren.

“Onement” bedeutet, dass die Farbflächen miteinander eine Einheit bilden. Diese Einheit bildet sich vermittelts der Unterscheidung. Können wir die Nachrichten von Toten als Zips verstehen, als Teile unserer Existenz? Ja, aber dabei kann es nicht bleiben. Sie sind nicht Teil im Sinne eines oberflächlichen ästhetischen Arrangements von Welterfahrung, sondern üben eine Funktion aus. Sie artikulieren die Zumutung der Welt, lassen die Zumutung der Welt erfahrbar werden.

Diese Zumutung ist ein Anlass von Newman Gesängen. Seine Cantos sind Aufforderungen, dass auch wir singen und mitteilen, dass wir im Aufruhr sind. Nebenbei sei bemerkt, dass Newman mit dem Titel des „onement“ ein Konzept der modernen Mathematik anspricht, des Intuitionismus. Der spricht von der Zwei-Einheitlichkeit des Denkens. Sie beruht auf der Einsicht in Wechsel von vergangenen und gegenwärtigen Momenten, die jegliche menschliche Erfahrung als zeitlich begreift.

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