Canto XI ?/07

Schreit es uns entgegen? Breitet es freundlich und hell Zuversicht aus? Zitronengelb oder Spülmittelgelb? Sengend oder singend? Ein klares Gelb, gleichmässig und souverän, stimmt der Sänger Newman an. Diesem Gelb korrespondiert ein satteres, zuversichtlicheres Grün. Hinter diesem Grün erstrahlt in Flecken, die sich zu gleissenden Ozeanen ausbreiten können, das Gelb. Was ist das für ein Gesang, der dem Gelb soviel Vermögen gestattet? Ein Gesang, der teilt, ungerecht teilt, der dem Gelb die Macht zugesteht, sich im Grün auszubreiten?

Newman halbiert in den Cantos Bildhälften oder er teilt sie in drei ungleiche Teile. Er viertelt nicht, er fünftelt nicht. Das eine wird geteilt in zwei oder in drei. Wenn es in drei Flächen geteilt wird, kommt ein weiteres Moment der Ungleichheit hinein. Denn eine Fläche der drei – Kunsthistoriker nennen sie wohl Zip – ist ein dünner Streifen, der schmal gegenüber den anderen bleibt.

Wenn wir den Gesang zu übersetzen beginnnen, die Farben als Symbole verstehen, zum Beispiel als Zeichen für die Wüste, die Sonne, die Nacht und das Polarmeer verstehen, dann verlassen wir die Ebene des visuellen Ausdrucks. Newman lädt uns dazu ein. Denn er nennt seine Lithographien Gesänge. Er legt so bereits nahe, Fläche und Farbe als Worte zu verstehen, die gesungen werden. Er ermutigt uns, die Wahrnehmung der Flächen und Farben in die Sprache zu übersetzen.

So, dann übertragen wir sie, zum Beispiel auf Sätze aus Nr.32, die an den Fussballkrawall in Catania erinnern, der mit einem Todesopfer und sechzig Verletzten endete. Hat diese Notiz etwas mit den Gesängen Newman`s gemeinsam? Nur indirekt, und zwar die Figur der Diskrepanz, die diese Notiz erfordert. Wir sollten nicht schnell die Notiz übersetzen, indem wir in dem gemeldeten Geschehen eine Zeichnung des Schiksals sehen. Wir sollten den gemeldeten Krawall nicht ästhetisieren und als Kontrast zwischen Gruppen auffassen. Uns bleibt, ihn als Anlass zu einem Gesang zu verstehen, zu einem Gesang in Anlehnung an Newman.

Es ist ein trauriger skeptischer Gesang, ein Gesang, der nicht feiert, der nicht stilisiert, sondern nennt und damit zur Sprache bringt, was schnell vergessen wird. Zur Sprache bringen, dass in unserer Welt Grausames geschieht, zur Sprache bringen, dass wir uns dem Grausamen ausliefern, zur Sprache bringen, das unser Gemüt verschlammt, wenn wir darauf verzichten, eine Sprache, eine Zeichenproduktion zu finden, die zumindest diese Diskrepanz zwischen Geschehen, Empfinden und Verstehen artikuliert.

Hierin liegt eine Setzung Newman`s. Er singt nicht als Schwärmer, er singt nicht beschwörend. Er singt die Kontraste, die Ungleichheit, die Machtverhältnisse, die schon durch die unterschiedlichen Wirkungen von Farben und Flächen artikuliert werden. Heroisch, sublim ist daran allein der Auftrag und die Pflicht, die Newman annimmt und weitergibt: Den Gesang nicht sterben zu lassen.

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