Finding the north-south line by shadows: „Die Mittaglinie zu finden durch 2. Schatten eines nach der Bleywaag auffgeneckten Fadens /

die nach zweyen gleichen Erhöhungen der Sonnen genommen werden. Hencket ahn ein langes Pferdshaar oder auffgewickelten Faden A. das kleine Gewicht B. und stellet es also nach der Bleywaag gespannet nach der Sonnen. Hernach lasset mit einem Astrolabio oder vierten Theil des Circuls die Höhe der Sonne nehmen / und bezeichnet zugleich auf euerer Horizontalen Fläche den Schatten des Fadens zum Exempel C. D. Mit eben demselbigen vierthen Theil des Circuls beobachtet sehr genau den Augenblick wann die Sonne in gleiche Höhe ist / wie sie Vormittag bey der ersten Beobachtung gewesen ist / und also bald zeichnet den Schatten des Fadens auf der Fläche zum Exempel E. F. [;] verlängeret diese beyde Linien biss sie sich in I. zerschneiden auf den Punct I. Gleich als auss einem Centro beschreibet den Bogen G. H. welcher in 2. gleiche Theil / zum Exempel bey L. getheilet werde / hernach ziehet noch die stracke Linie I. L. und ihr bekommet die Mittagslinie. Der Faden muss beständig und ohne einige Bewegung sein in dem Augenblick wann man den Schatten bemercket. (A. A., Magnetologia, ,S. 46)

A. A., Magnetologia curiosa, Zentralbibliothek Zürich, Alte Drucke und Rara, NP 1836, Fig. [37] #

M.: Erinnert Ihr Euch an die Posts zu Münster, Apian und Frisius? Hier noch ein Bonus: zum „vierten Theil des Circuls die Höhe der Sonne nehmen“:

Gregor Reisch (ca. 1467-1525) Aepitoma omnis phylosophiae, alias, Margarita phylosophica (In nobili Helveciorum civitate Argentina : chalchographatum per Ioannem Grüninger …, 1504), Gal Tz 226  G

M.: Dieser Holzschnitt wird auch als ikonografische Voraussetzung für Dürers Kupferstich Melancholia diskutiert. Das nur am Rande. Der Autor der Magnetologia ist gut vertraut mit  astronomischen Geräten seiner Zeit. Die Bestimmung der Mittaglinie führt jedoch zu einer Erweiterung. Massen Apian und Münster die Winkel der Gestirne zum Horizont, um Anhaltspunkte für die Vermessung der Erde zu finden, so misst der Autor Winkel zwischen Gestirnen und dem Horizont, um die Abweichungen der Magnetnadel zu bestimmen, die nach Descartes von kosmischen Partikelströmen gelenkt wird.
D.: Die Mittaglinie bereitet auf die nicht-retinale Kunst vor. Eine Kunst, die nicht länger der Ethik oder der Ästhetik verpflichtet ist, sondern der Erkenntnis. Die Mittaglinie verbindet Punkte zu einer Linie, die dem menschlichen Auge sonst verborgen bliebe. Sie entsteht erst, wenn konstruktiv ein Verhältnis zur Wirklichkeit gesucht wird. Dann wird sie zu einem Flügel zu einem Floss, das Grenzen zwischen Wahrnehmbaren und Nichtwahrnehmbaren denkend, schlussfolgernd erkundet.
J.: Der erste konstruktive Akt war unbewusst. Ein Stab, der in den Boden gesteckt wurde; ein Zeichen im Sand gezogen.
R.: Die Schrift hat keinen Ursprung. Sie definiert ihn.
M.: Die Abbildungen zur Mittagslinie haben eine andere Qualität. In den vorigen Abbildungen mussten wir bei der Betrachtung, auf die Pole Nord und Süd achten; nun müssen wir Buchstaben als Punkte auffassen und ihre Beziehung untereinander nachvollziehen.
R.: Der Autor wendet sich an Leser, die mit den Händen nachvollziehen, was er beschreibt. Er setzt voraus, dass die Leser Marmorplatten, gute Kreiden, Zirkel, Astrolabien, Quadranten und astronomische Verzeichnisse besitzen oder verwenden können, die verschiedene Haare nicht zu vergessen.
M.: Sobald Schriftzeichen in den Bilder zu sehen sind, müssen wir sie anders auffassen. Ich korrigiere mich. Das trifft auch bereits auf die vorigen Abbildungen zu, in denen die Pole schriftlich bezeichnet wurden. Ich denke aber, dass die Verbindungen, die man schauend nachvollzieht andere sind, je nachdem ob, sie geometrische Verbindungen bezeichnen oder Polaritäten. Die Herausforderung an die Intuition der Betrachter ist eine jeweils andere.

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